Um 1900 war er auch in Deutschland bekannt, geriet dann aber in Vergessenheit: der spanische Maler Ignacio Zuloaga. Die Münchner Kunsthalle widmet ihm nun eine Ausstellung. Zu sehen sind Werke, die nach Identität fragen.
Nach wie vor ist Spanien eines der beliebtesten Reiseländer der Deutschen. Viele denken an stolze Toreros und temperamentvolle Flamencotänzerinnen, an unter der gleißenden Sonne verdorrte Landschaften. Vermutlich haben solche Klischees auch mit dem spanischen Maler Ignacio Zuloaga (1870-1945) zu tun. Wie kein anderer Künstler hat er die Vorstellung geprägt, die man sich um 1900 im Ausland von Spanien machte.
In Zeiten massiver Industrialisierung und der beginnenden Orientierung Spaniens an der europäischen Moderne wollte Zuloaga mit solchen Szenen die “spanische Seele” bewahren: mit Bildern von Asketen und Büßern, Bettlern, Kleinwüchsigen und Hexen, die an das Erbe von Altmeistern wie El Greco, Velazquez oder Goya anknüpfen. Mit ähnlich respektvollem und zugleich melancholischem Blick wie sie macht er Außenseiterfiguren zum Mittelpunkt seiner Gemälde.
Bereits zu Lebzeiten traf Zuloaga damit auch hierzulande den Geschmack des Publikums: Zwischen 1900 und 1914 stellte er mehrfach in Deutschland aus. Heute ist er hier aber so gut wie vergessen. Die neue Schau der Münchner Kunsthalle erweckt ihn nun mit dieser ersten posthumen Ausstellung außerhalb Spaniens quasi wieder zum Leben. Sie vereint bis 4. Februar 2024 knapp 80 Gemälde aus öffentlichen und privaten Sammlungen weltweit.
In Spanien wurde seine Sichtweise auf die Heimat als unpatriotisch kritisiert – bis seine Kunst vom faschistischen Franco-Regime vereinnahmt wurde. Bis heute gilt Zuloaga als Maler des melancholischen, düsteren, “schwarzen” Spaniens. Mit seinen Bildern stellt er die Frage nach der Identität des Landes: Tradition oder Moderne, Besinnung auf das Eigene oder Öffnung gegenüber Europa?
1889 zog der aufstrebende Maler nach Paris. Sein Frühwerk ist geprägt von Cafe- und Straßenszenen und ersten naturalistischen Porträts. In die französische Hauptstadt kehrte er immer wieder zurück und war befreundet mit Stars der Kulturszene wie Rodin, Toulouse-Lautrec oder Ravel. Doch bald wurde er zum Grenzgänger und suchte bei zahlreichen Spanienaufenthalten bewusst auch die Nähe zu den unteren Gesellschaftsschichten. Wie viele seiner Zeitgenossen sah er das Archaische und Ursprüngliche des Landes durch den Fortschritt vom Verschwinden bedroht, das er in seinen Bildern erhalten wollte und in mythisch überhöhter Form zum Ausdruck brachte.
Zentrale Themen in seinem Werk sind die folkloristischen Darstellungen des Stierkampfs und des Flamencotanzes. Die Kunst des Stierkampfs hat der Maler sogar selbst erlernt, aber das eigentliche Blutvergießen in seinem Werk nahezu weggelassen und sich stattdessen auf Toreroporträts sowie die Bräuche rund um dieses Ritual konzentriert. Und in seinen Porträts von Tänzerinnen hat er den Frauentypus der feurigen Andalusierin geschaffen, der wie eine Variante der berühmten Carmen-Figur wirkt.
1898 begann mit Zuloagas Umzug nach Segovia seine bedeutendste Werkphase. Dort entstanden viele Gemälde, die geradezu als “Sinnbilder des schwarzen Spaniens” gelten: karge, raue Landschaften mit ebensolchen Bewohnern und Bewohnerinnen, die den “Volksgeist” repräsentieren sollten. Und in den Bildern mit religiösen Szenen (etwa “Blutender Christus”) greift er die spanische Volksfrömmigkeit auf, die in der Tradition eines mystischen Katholizismus verankert ist.
Die letzten zwei Räume der Schau zeigen Bildnisse, die repräsentative Auftragsporträts ebenso umfassen wie intime Darstellungen aus dem Freundes- und Kollegenkreis. Für seine “Landschaftsporträts” hat er eine neue Bildsprache entwickelt, indem er menschliche Figuren unter einem dramatischen Himmel mit mythisch aufgeladenen Stadtlandschaften wie Toledo oder Avila kombiniert.
Dieses Zusammenspiel von Privatem und Öffentlichem, von Figur und Landschaft spiegelt eine ambivalente Künstlerpersönlichkeit in einer Welt im Umbruch wider: Zuloaga war ein bürgerlicher Bohemien, ein moderner Kosmopolit und gleichzeitig ein romantisch-nostalgischer Wahl-Kastilier, der angefeindet und verehrt wurde, dessen Werke aber bis heute den Inbegriff des Mythos Spanien bilden.