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Mit kirchlichem Segen im öffentlichen Schuldienst

Religionsunterricht ist im Fächerkanon das einzige ordentliche Lehrfach in gemeinsamer Verantwortung von Staat und Kirche. Nach erfolgreicher Lehrerausbildung zur Ausübung befugt sind nur Lehrkräfte nach zusätzlicher Berufung durch ihre Kirche

Vokation für Religionslehrerinnen und -lehrer – was bedeutet das eigentlich? Die frohe Botschaft vom  Kommen des Gottesreiches weiterzusagen? Die Gegenwart Jesu Christi zu feiern und seine Liebe in Wort und Tat zu bezeugen? Befragbare authentische Gesprächspartner für Schülerinnen und Schüler in Glaubensdingen zu sein? Für das Evangelium auch gegen Widerstände einzutreten?
Im 1. Korintherbrief spricht Paulus im zwölften Kapitel von den „Gaben des Geistes“, die so vielfältig sind wie auch das Wirken Gottes. Wir hören dort unter anderem von der Gabe der prophetischen Rede, der Leitung und der Lehre. Von Beginn an haben Fragen der Ordnung kirchlicher Ämter und Dienste die Christenheit beschäftigt (Apostelgeschichte 6, Verse 1-7). An ihrer konkreten Ausgestaltung scheiden sich bis heute christliche Kirchen und Konfessionen. Das gilt besonders auch für die Übertragung von Ämtern und Diensten.
In der Taufe begründet liegt nach Martin Luther das „ius generale“ (lateinisch: allgemeines Recht) zur Predigt des Evangeliums und zur Verwaltung der Sakramente. Schon Luther unterscheidet an dieser Stelle aber diese „vocatio generalis“ (lateinisch: allgemeine Berufung) von der „vocatio specialis“ (lateinisch: besondere Berufung), nämlich der Berufung zum öffentlichen Predigtamt, zum konkreten Amt der Kirche.
Dieses besondere Amt schütze das „Allgemeine Priestertum“ vor dem Missbrauch durch angemaßte Autoritäten. Es hat den Auftrag, das Evangelium zur Zeit und zur Unzeit zu verkündigen. So trägt es dafür Sorge, dass das Wort Gottes „im Schwange bleibt“ (Martin Luther), auch wenn anderes seinen „Lauf“ behindern will.

Gemeinsame Vokationsordnung

Die evangelisch-lutherischen Kirchen schätzen und fördern deshalb alle kirchlichen Dienste als Ausgestaltung des „Allgemeinen Priestertums“ und halten für die Einsegnung derjenigen, die diese Dienste  ausüben, spezielle Ordnungen bereit. Aus dieser Tradition ableitend erhalten Religionslehrkräfte – ihre geprüfte Fachlichkeit vorausgesetzt – einen besonderen Ruf durch ihre Kirche. Der feststehende Begriff für diese kirchliche Bevollmächtigung lautet deshalb „Vocatio“ (Vokation): Berufung (abgeleitet von lateinisch: vocare = rufen).
Sind Religionslehrerinnen und -lehrer nach erfolgreicher Lehrerausbildung damit Staatsdiener und Geistliche zugleich? Oder überspitzt gefragt: Dienen Religionslehrerinnen und -lehrer also zwei Herren? Ist doch das Fach Religionslehre das einzige ordentliche Lehrfach, das im Grundgesetz und in der Verfassung des Landes NRW verankert ist und damit vom Land (Staat) und von den Kirchen als gemeinschaftliche Aufgabe verantwortet wird, eine sogenannte „res mixta“ (lateinisch: vermischte Sache).
Der Religionsunterricht als gemeinsame Angelegenheit von Staat und Kirche basiert damit gleichzeitig auf staatlichen Gesetzen und kirchlichen Ordnungen. Innerhalb von NRW gelten die Grundlagen für die Vokation, die von den drei Landeskirchen in NRW, der Evangelischen Kirche von Westfalen, der Evangelischen Kirche im Rheinland und der Lippischen Landeskirche in der Gemeinsamen Vokationsordnung festgehalten wurden.
Die Rolle der Religionslehrerinnen und -lehrer als Multiplikatoren bezüglich Jesu Botschaft gleicht häufig immer mehr dem biblischen Bild vom einsamen Rufer in der Wüste. Unter immer anspruchsvoller werdenden Arbeitsbedingungen an unseren Schulen, die digital, inklusiv, individuell fördernd und kompetenz­orientiert arbeiten wollen, haben Religionslehrerinnen und -lehrer oft den intensivsten Kontakt zu heutigen Jugendlichen, geben Orientierungshilfen bezüglich Sinn- und Lebensfragen und bestimmen damit maßgeblich auch die Zukunft unserer Kirche und unserer Gesellschaft.
Mehr als 200 Lehrkräften wird allein im Bereich der westfälischen Landeskirche jährlich die kirchliche Lehrerlaubnis erteilt. Sie sind damit qualifizierte evangelische Religionslehrerinnen und -lehrer. Mit der Vokation wird ihnen von ihrer Kirche das Vertrauen ausgesprochen, einen verantwortlichen bekenntnisorientierten Religionsunterricht zu erteilen, der den gültigen Lehrplänen und den Grundsätzen der evangelischen Kirche entspricht. Und gleichzeitig wird ihnen der Segen Gottes für diese Aufgabe zugesprochen. Die Kirche sagt diesen Lehrerinnen und Lehrern damit ihre Unterstützung bei der Wahrnehmung ihres verantwortungsvollen und oft nicht leichten Dienstes zu.

Stütze, Stärkung und Versprechen

So soll die Vokation Stütze und Stärkung der Lehrerpersönlichkeit sein. Und zugleich ist sie das konkrete Versprechen, den Rückhalt der Gemeinschaft, fachliche Förderung und Unterstützung in der verantwortlichen Erteilung des evangelischen Religionsunterrichtes bereitzuhalten. Verschiedene kirchliche regionale und zentrale Unterstützungssysteme stellen den Kontakt mit Studierenden, Lehramtsanwärterinnen und -anwärtern und Religionslehrkräften her und sorgen für Fort- und Weiterbildungsangebote, Supervision, juristische und seelsorgliche Beratung.
Die „Rufer in der Wüste“ oder „Sämenschen“, die Wortkörner der Botschaft Gottes aussäen, versehen eben einen anspruchsvollen Dienst, der einer besonderen Wertschätzung und kontinuierlichen Unterstützung bedarf. Sie sind es, die Kinder und Jugendliche täglich erleben, sich mit ihnen auseinandersetzen und die Zukunft gestalten.
Aufgrund dieser intensiven Herausforderung erscheint auch ein weiteres Alleinstellungsmerkmal des Religionsunterrichts innerhalb des Fächerkanons aller Schulen in Deutschland gerechtfertigt: „Kein Lehrer darf gegen seinen Willen verpflichtet werden, Religionsunterricht zu erteilen“ (Artikel 7 Absatz 3 Grundgesetz).
Religionslehrerinnen und -lehrer sind stets in ihren eigenen Glaubensüberzeugungen, dem Zeugnis der Schrift und den aktuellen Erkenntnissen der Forschung gefragt. Sie agieren als Kirchen- und Staatsvertreter zugleich und eröffnen als Brückenbauer dabei große Handlungsspielräume. Das kostet Kraft; aber dieser Ruf zur Berufung schenkt zugleich auch im festen Vertrauen auf Gottes Zuspruch die Erfahrung erstaunlicher Freiheit, Nähe und Identitätswirksamkeit.