Die Mutter ist eine der wichtigsten Personen im Leben eines Menschen. „Mit ihr kommt die Liebe in die Welt“, sagt der renommierte Verhaltensforscher und Evolutionsbiologe Irenäus Eibl-Eibesfeldt. Mutterliebe ist die vielleicht innigste soziale Beziehung, die ein Mensch erlebt. Kein Wunder, dass der Muttertag für viele ein willkommener Anlass ist, ihrer Mutter für all ihre Zuwendung zu danken – wohl wissend, dass weder der üppigste Blumenstrauß noch die größte Pralinenschachtel dies aufwiegen können. Auf Spurensuche nach einem starken Gefühl.
Schon der griechische Tragödiendichter Euripides machte junge Menschen auf die Einzigartigkeit dieser Beziehung aufmerksam: „Das Leben bringt euch keine Liebe, die so wohl tut wie diese.“ „Gott konnte nicht überall zur gleichen Zeit sein, und deswegen erschuf er die Mütter“, besagt ein jüdisches Sprichwort. Und der deutsche Schriftsteller Wilhelm Raabe kommt zu dem Schluss: „Keine Weisheit, die auf Erden gelehrt werden kann, kann uns das geben, was uns ein Wort und ein Blick der Mutter gibt.“
Doch wie kommt es eigentlich zu der innigen Beziehung einer Mutter zu ihrem Kind? Der Freiburger Psychologe Markus Heinrichs macht dies an einem ganz besonderen Stoff fest – dem Oxytocin. Dieses Hormon ermöglicht nicht nur den Geburtsprozess und das Stillen des Babys, sondern fördert auch stark das soziale Miteinander. Oxytocin sei eine „tolle Erfindung der Natur“, sagt der Wissenschaftler. Nüchtern betrach-tet diene er der Arterhaltung; das Hormon sorge dafür, „dass der Nachwuchs überlebt“.
Sei das Oxytocinsystem im Gehirn beeinträchtigt, gebe es kein fürsorgliches mütterliches Verhalten. Umgekehrt garantiere die Oxytocinausschüttung die „bedingungslose Zuwendung“. Fürsorgliches Verhalten und soziale Bindung sei immer oxytocinabhängig, wie Studien an Säugetieren einschließlich des Menschen belegten, erklärt Heinrichs.
So normal und natürlich die liebevolle Zuwendung zu einem Kind auch scheinen mag – selbstverständlich ist sie nicht. Frauen, die selbst eine schlechte Bindung zu ihrer Mutter hatten, die nach der Geburt schwer depressiv sind oder bei denen die Oxytocinproduktion gestört ist, können ihre Kinder oft nicht lieben.
Anderen wurde die Mutterliebe ausgetrieben. Etwa von Johanna Haarer, Ärztin und Autorin zahlreicher Erziehungsratgeber wie „Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind“. Ihre Bücher wurden in den 1930er Jahren und bis weit nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs viel gelesen. Das Erziehungsideal Haarers, die seit 1937 Mitglied der NSDAP war, bestand aus Härte, Unterwerfung, Sauberkeit und Gefühlskälte. Intuitive Freude am Kind, Zuneigung oder Trösten waren für sie Fremdworte. Ihre Ratgeber seien „über Generationen“ in den deutschen Familien weitergegeben worden, weiß die Konstanzer Historikerin Miriam Gebhardt. Ratschläge, wie Kinder nicht mit Liebe zu überschütten oder sie in der Öffentlichkeit nicht zärtlich zu berühren, hätten sich so ebenfalls über Generationen in deutschen Familien erhalten.
Auch heute versuchen Frauen, verschiedensten Normen zu genügen. Zerrieben in den Mühlen des Alltags hat ihre Sorge um den Nachwuchs nicht selten gesundheitliche Folgen. Frauen seien „von allen und mehreren Seiten ständig angefordert“, weiß Margot Jäger, Geschäftsführerin der Arbeitsgemeinschaft Müttergenesung. Sie beobachtet „nicht nur ein Sich-Verausgaben gegenüber dem Nachwuchs“; viele Frauen müssten einer Doppel- und mitunter Dreifachbelastung zwischen einer möglichst perfekten Kindererziehung, dem Mithalten im Berufsleben und der Versorgung der alten Eltern standhalten. „Darüber kümmern sie sich zu wenig um sich und ihre eigenen Bedürfnisse.“
Den meisten Müttern sei viel „zu wenig bewusst, was sie alles schultern und leisten“. Den eigenen und fremden Ansprüchen nicht gerecht zu werden, nähmen sie als „Mangel“ wahr; gerade diese innere Einstellung mache oft krank, weiß Jäger.
Bei allen Belastungen – die Mutterliebe und tiefe Verbindung zum eigenen Kind scheint keine Grenzen zu kennen. Es gibt offenbar ein ganz besonderes Band, das Mütter mit ihrem Nachwuchs verbindet. Immer wieder ist von Berichten zu hören, in denen Mütter den Todesmoment ihrer Kinder intensiv wahrgenommen haben, obwohl diese Tausende von Kilometern entfernt waren.
Diese enge Verbindung scheint dabei kein exklusiv menschliches Phänomen zu sein, wie Beobachtungen an Nagern, Primaten und vielen anderen Tieren zeigen. Ein ein-drucksvolles Beispiel schildert der Amberger Mediziner Eberhard Rau: Demnach wurden einer Rattenmutter für ein Experiment ihre Kinder weggenommen und lebend einige hundert Kilometer entfernt im Meer versenkt. Die Forscher beobachteten derweil ununterbrochen die Hirnströme der Rattenmutter, auch als ihr Nachwuchs durch eine Explosion getötet wurde. In der Todessekunde sei die Rattenmutter vollständig durchgedreht, ihre Hirnströme waren wie Explosionen. „Obwohl sie ‚nur‘ eine Rattenmutter war, spürte sie den Tod ihrer Kinder genau.“KNA