Sonntagmorgen, 10.30 Uhr. Die Stimme von Brigitte Buchsein füllt den Kirchenraum. Die 56-Jährige mit dem rot gelockten Haar spricht mit einer warmen Stimme ins Mikrofon. Obwohl sie noch in Ausbildung ist, wirkt sie erfahren. Seit einigen Jahren führte sie bereits ehrenamtlich als Prädikantin durch Gottesdienste. Nun macht sie ihre Ausbildung zur Pfarrerin, das Vikariat. In der Gemeinde kommt sie damit an. Der Segen am Ende des Gottesdienstes strahle durch ihre Mimik „ganz besonders aus ihr heraus“ und sei besonders eindrucksvoll, findet zum Beispiel Caroline Schönberg. Sie begleitet Buchsein im Gottesdienst zum Mikrofon hin und zurück, denn die Predigerin ist blind, seit sie ein Baby war.
Für den Gottesdienst nutzt die Vikarin zwei unverzichtbare Utensilien: Ein Braille-Lesegerät für die Predigt, das Buchsein auch liebevoll „iPad für blinde Menschen“ nennt. Die Ansprache schreibt sie zu Hause auf dem Computer und überträgt sie dann auf ihr Lesegerät. Dort werden die Buchstaben in Braille-Schrift angezeigt, die sie mit den Fingern ertastet. Für den übrigen Ablauf des Gottesdienstes nutzt sie klassische Karteikarten im DIN-A6-Format, in die sie mit ihrer heimischen Schreibmaschine Braille-Buchstaben einstanzt.
Während ihres vorherigen Jobs bei einer Versicherung hielt sie stets den Kontakt zur Kirche, und Theologie war nach ihren Worten immer ihre Leidenschaft. Der frühzeitige Tod ihres Bruders motivierte sie schließlich zum berufsbegleitenden Theologiestudium in Frankfurt und Mainz. Ihr sei klargeworden, dass sie nicht alles bis zur Rente verschieben wolle. Für den Ruhestand hatte sie sich ursprünglich vorgenommen, „aus Spaß Theologie zu studieren“.
Den Besuchern geht es mehr um den Inhalt des Gottesdienstes als um ihre Behinderung. „Das freut mich. Ich bin ja nicht nur blind, ich bin auch Vikarin in Ausbildung“, sagt Buchsein. Mit einem Lächeln erzählt sie auch von den Reaktionen der Kinder. Diese seien „ganz neugierig und sprechen das aus, was die Eltern manchmal auch gerne wissen möchten.“ Oft komme die Frage nach den technischen Geräten, die sie im Gottesdienst nutzt.
Brigitte Buchsein ist klar, dass ihr im Alltag viel dadurch verloren gehe, dass sie die Mimik des Gegenübers nicht wahrnehmen kann. „Allerdings höre ich ganz viel aus einer Stimme heraus, was Sehende gar nicht bemerken, zum Beispiel, wenn Menschen unsicher oder traurig sind.“ Sie wolle es allerdings auf keinen Fall glorifizieren, nicht sehen zu können. Trotzdem sei es schön, „noch einmal sensibler für andere Wahrnehmungen zu sein“.
Vor Beginn der Ausbildung war Buchsein nach eigener Aussage unsicher, wie sie reagieren sollte, wenn eine fromme Person in der Gemeinde für sie bete, dass sie durch Gott geheilt werden möge. „Die Leute erleben mich so, dass ich mit meiner Behinderung sehr selbstverständlich umgehe“, erklärt die Vikarin. Rettung sei für sie nicht die körperliche Heilung. Sie brauche eher einen Retter, der „andere Menschen dafür sensibel macht, ihre Haltung zu überdenken“.
Auf die Frage, was ihr dabei helfe, immer neue Herausforderungen anzunehmen, antwortet die Vikarin mit einem Bibelvers: „Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit.“ (2. Timotheus 1,7). Dieses Motto beschreibe genau ihr Leben: „Nicht verzagt sein, die Chancen sehen. Es wird gelingen – auch wenn ich jetzt noch nicht genau weiß, wie.“ Brigitte Buchsein vertraut fest darauf, dass sie nach erfolgreichem Abschluss ihres Vikariats Pfarrerin der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) werden wird. Sie geht allerdings aufgrund ihres Alters nicht von einer Verbeamtung aus.