Vor einem Jahr wurde die Studie zu Missbrauch in der evangelischen Kirche veröffentlicht – doch seitdem herrsche Stillstand, kritisiert ein Betroffener. Es gehe nichts über “Friede, Freude, Eierkuchen”.
Jakob Feisthauer, Missbrauchsbetroffener aus Wilhelmshaven, kritisiert die evangelische Kirche. Rund ein Jahr nach Veröffentlichung einer bundesweiten Studie zu sexualisierter Gewalt in der evangelischen Kirche und der Diakonie nehme er vor allen Dingen Stillstand wahr, sagte Feisthauer am Freitag im Deutschlandfunk. Ein echter Aufarbeitungswille sei leider nicht zu erkennen. Der Mitgründer der Initiative “Vertuschung beenden” kritisierte: “Nichts geht in der EKD über Friede-Freude-Eierkuchen und bloß nicht zu tief graben.”
Die Studie für die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) und die Diakonie war am 25. Januar 2024 von unabhängigen Forschern in Hannover vorgestellt worden. Sie hatte in kirchlichen Akten Hinweise auf 2.225 Betroffene und 1.259 Beschuldigte seit 1946 ausgemacht. Zudem stellte sie Kirche und Diakonie im Umgang mit Missbrauchsfällen ein schlechtes Zeugnis aus.
Feisthauer bemängelt weiter, dass Betroffene im Aufarbeitungsprozess nicht ausreichend beteiligt würden. Zwar bestehe das sogenannte Beteiligungsforum aus 17 Menschen, von denen acht Missbrauchsbetroffene seien. Diese seien allerdings zum großen Teil selbst bei EKD oder Diakonie beschäftigt und von der Kirche ausgewählt worden. Feisthauer fordert, dass auch Betroffene beteiligt würden, die von anderen Betroffenen ein Mandat erhielten. “Das ist etwas, was vollkommen fehlt”, sagte er.
Jakob Feisthauer hat eigenen Angaben zufolge als 15-Jähriger Anzeige gegen einen Diakon erstattet, durch den er sexualisierte Gewalt erlebt hat. Der Staatsanwaltschaft gegenüber habe der Diakon 40 bis 50 weitere Fälle eingeräumt. Feisthauer beklagt, dass die Landeskirche Hannovers für die Studie allerdings nur vier Fälle zu besagtem Täter gemeldet habe. Er befürchtet, dass absichtlich schöngerechnet worden sei.
Feisthauer fordert Flächenstudien in den Landeskirchen, “wo wirklich alle Fälle durchgeguckt werden und wo aufgedeckt wird”. Die katholische Kirche mache es vor. So habe es gerade im Bistum Osnabrück eine entsprechende Studie mit sehr guten Ergebnissen gegeben. Er habe jedoch nicht den Eindruck, dass die evangelische Kirche dazu bereit sei: “Sie haben immer noch ihr Harmoniebedürfnis.” Man wolle nicht einsehen, dass schlimme Dinge passiert seien und passierten und dafür Verantwortung übernommen werden müsse.