Polens katholische Bischöfe legen die Einrichtung einer Missbrauchskommission überraschend in andere Hände. Das nährt Zweifel an ihrer Bereitschaft, die Zeit seit 1945 von unabhängigen Experten untersuchen zu lassen.
In Polen wächst Kritik an einem überraschenden Personalwechsel bei der Missbrauchsaufarbeitung in der katholischen Kirche. Bei einer Vollversammlung im schlesischen Katowice (Kattowitz) entzogen Polens Bischöfe Primas Erzbischof Wojciech Polak die Zuständigkeit für die Einrichtung einer landesweiten Kommission zur Untersuchung von sexuellem Missbrauch von Minderjährigen, wie aus einer offiziellen Mitteilung von Donnerstag hervorgeht. An Polaks Stelle beauftragten sie Bischof Slawomir Oder, die Dokumente für die Arbeitsweise des geplanten unabhängigen Expertengremiums für die Aufarbeitung fertigzustellen.
Missbrauchsbetroffene reagierten sehr enttäuscht und kündigten ihre Zusammenarbeit mit der Bischofskonferenz auf. Er fühle sich betrogen, sagte Jakub Pankowiak am Freitag der polnischen katholischen Nachrichtenagentur KAI. Die Bischöfe wollten keine unabhängige Kommission einrichten, “um die wir gebeten haben”, obwohl es zunächst so ausgesehen habe, dass man gemeinsam vorankomme.
“Die gestrigen Ereignisse bedeuten, dass – zumindest von meiner Seite aus – die Zusammenarbeit mit der Polnischen Bischofskonferenz in dieser Frage zu Ende geht”, so Pankowiak. Im Juli 2024 hatte er sich gemeinsam mit mehr als 40 Betroffenen von sexuellem Missbrauch durch katholische Geistliche mit einem Offenen Brief an die Bischöfe gewandt. Darauf war er zur Vollversammlung im November eingeladen worden.
Polens Bischofskonferenz hatte im März 2023 eine Untersuchung der Missbrauchsfälle seit 1945 durch unabhängige Experten angekündigt. Die Vorbereitungen ziehen sich bis heute hin. Es wurden bislang keine Mitglieder der Untersuchungskommission berufen. Zuletzt hatte der Rechtsbeirat der Bischofskonferenz, dem auch Oder angehört, vor zu großen Kompetenzen der geplanten Kommission gewarnt.
Oder, der Bischof von Gliwice (Gleiwitz) ist, betonte noch am Donnerstag die Entschlossenheit zur Einrichtung der Kommission. Die Bischöfe hätten das Thema bei ihrer Versammlung “mit großer Sorgfalt” behandelt. Einen Zeitplan für die weiteren Schritte wollte er allerdings nicht nennen.
KAI-Chefredakteur Marcin Przeciszewski verwies darauf, dass Oder im Gegensatz zu Erzbischof Polak über keine Erfahrung im Bereich Missbrauchsaufarbeitung verfüge. Er geht davon aus, dass Oders Nominierung “im öffentlichen Leben zu einem weiteren und wahrscheinlich ziemlich starken Autoritätsverlust der Kirche” führen werde.
Der promovierte Kirchenjurist Oder (64) wurde 2023 zum Bischof geweiht. Er gehört dem Ständigen Rat der Polnischen Bischofskonferenz an. International bekannt wurde er von 2005 bis 2014 als Anwalt (Postulator) für die Selig- und Heiligsprechung von Papst Johannes Paul II. (1978-2005). Aktuell betreut er das Seligsprechungsverfahren für die Eltern von Johannes Paul II.