Eine Welt ohne Gefängnisse: Eine Utopie? Im fiktiven Örtchen Rheinstadt überzeugen ein Bürgermeister und eine Juristin den Großteil der Bevölkerung von ihrem Traum – die Sträflinge werden in die Freiheit entlassen …
Ausgerechnet “Trust nobody” hat der Mann auf den Hals tätowiert: Vertraue niemandem. Mark ist einer von 300 Gefangenen, die in die Freiheit entlassen werden – als Teil des “Trust-Programms”, eines ambitionierten Sozialexperiments. Anders als in Marks Dasein ist darin fast alles auf Vertrauen aufgebaut: Vertrauen in das Gute im Menschen, die segensreiche Wirkung von Freundlichkeit – und darauf, dass Menschen Möglichkeiten, die sich ihnen bieten, sinnvoll nutzen. Etwas bösartig könnte man sagen: Gutmenschentum at its best.
Dessen zentrale Vertreter sind in dieser Mini-Serie ein junger, gutaussehender Bürgermeister mit migrantischem Hintergrund, Amir Kaan (Steven Sowah), der perfekte Posterboy progressiver Politik. Sowie Petra Schach (Maria Hofstätter), eine Strafrechtlerin mittleren Alters, idealistisch, radikal und lesbisch – auch sie eine leicht klischeehafte Figur. Zusammen konnten sie 70 Prozent der Bevölkerung des fiktiven Ortes Rheinstadt von ihrem Traum überzeugen: die Gefängnisse zu öffnen und die Straftäter freizulassen – für einen wissenschaftlich begleiteten Modellversuch von zunächst zwei Jahren.
So die Ausgangslage der achtteiligen Mini-Serie “A Better Place”, deren erste zwei Folgen Das Erste am 22. Januar von 20.15 bis 21.45 Uhr ausstrahlt (weitere sechs Episoden werden dann am Freitag, den 24. Januar gesendet, unverständlicherweise erst ab 22.20 Uhr – Ende ist dementsprechend um 2.50 Uhr).
Die Haftstrafe, so Kaan, solle bald so verpönt sein, wie es die lange übliche Prügelstrafe im 21. Jahrhundert längst ist. Tatsächlich werden von den Befürwortern gute – reale! – Argumente ins Feld geführt: Mit Gefängnissen würden nur die Symptome, nicht aber die Ursachen von Kriminalität bekämpft. Zudem sei die Rückfallquote unter einstigen Häftlingen sehr hoch – 60 bis 65 Prozent, heißt es im Pressedossier zur Serie -, und häufig führe die Haft eher noch tiefer in kriminelle Verstrickungen. Weshalb es für Gesetzesbrecher in Rheinstadt statt einer Strafe nun Arbeit, Wohnung, Therapie und einen jeweils zuständigen Berater geben soll.
Natürlich gibt es Kritik, zuvorderst von Angehörigen, die ertragen müssen, dass etwa der Mörder ihres Kindes frei herumläuft. So der Fall bei Nesrin (Alev Irmak), deren 15-jähriger Sohn von einem Rechtsextremen totgeprügelt wurde. Misstrauen herrscht auch an anderer Stelle – teils berechtigt: So führt die kleinkriminelle Yara (Aysima Ergün) ihre Betreuerin Eva (Katharina Schüttler) an der Nase herum, reizt das auf Zusammenarbeit basierende System dreist aus. Ihr Bruder Nader (Youness Aabbaz) hingegen will endlich raus aus dem Sumpf.
Es ist ein figurenreiches Tableau, das Head-Autor Alexander Lindh zusammen mit Laurent Mercier entwirft; dazu kommt die eher theoretische Ausgangsidee, die zunächst relativ viel Erklärung benötigt. Es dauert deshalb, bis man warm wird mit Story und Charakteren. Auch, weil manche Figuren allzu offensichtlich eine bestimmte (gesellschafts-)politische Position repräsentieren und darin etwas statisch erscheinen.
Trotzdem sind die Charaktere interessant gezeichnet, mit guten Dialogen ausgestattet. Und sie werden fantastisch gespielt – von einem auf angenehm beiläufige Weise äußerst diversen Cast: Die Darsteller – von Hofstätter über Aabbaz hin zu Irmak – sind durchweg toll, gerade die vielen unverbrauchten Gesichter darunter.
Sie verhandeln Fragen, die das fesselnde Zentrum der auch optisch hochkarätigen, von dem Regie-Gespann Anne Zohra Berrached und Konstantin Bock souverän und feinfühlig in Szene gesetzten Produktion bilden – und die auf den Kern des menschlichen Zusammenlebens abzielen: Wäre die Welt ohne Gefängnisse wirklich “a better place”, ein besserer Ort?
Wie würden in einer solchen Gesellschaft etwa Fragen nach Schuld und Sühne, Reue und Vergebung ausgehandelt? Welche Rolle spielt das Bedürfnis nach Sicherheit? Wäre eine solche Welt nicht eine Zumutung für die Opfer von Straftaten? Auf all diese Fragen gibt die Serie klugerweise viel weniger Antworten, als dass sie vor allem zahlreiche weitere Überlegungen anstößt.