Die Kupfer-Felsenbirne sei ein „Fels in der Brandung“, schreibt eine Baumschule auf ihrer Homepage begeistert. Und auch andere Gärtnereien loben das aus Nordamerika stammende Rosengewächs. Hübsch anzusehen seien die weißen, sternförmigen Blüten und die prächtige kupferrote Färbung im Herbst, heißt es. Sie machten den robusten und pflegeleichten Zierstrauch zu „einem wahren Schmuckstück“.
Was Botaniker und Hobbygärtner mit Freude lesen dürften, löst bei Familie Sielemann besondere, sehr persönliche Gefühle aus. Ihre Felsenbirne steht in Hessen in der Nähe von Fulda – gepflanzt im Juni 2021. „Sie hat sich seitdem gut entwickelt“, sagt Olaf Sielemann.
Seine Stimme klingt ernst, doch es schwingt auch Freude mit. Denn in der Felsenbirne, die er mit seiner Tochter und einer engen Freundin seiner Frau in die Erde gebracht hat, lebt die Erinnerung an seine Frau, an 25 Jahre Ehe weiter. „Wir hatten eine schöne Zeit“, sagt der 62-Jährige, der in der Wedemark in der niedersächsischen Region Hannover lebt.
Im Einklang mit der Natur leben
Sielemanns Frau starb am 30. Dezember 2020 an Krebs, sie war 57 Jahre alt. Die Diagnose Brustkrebs erhielt sie 2016, im August 2020 kam die Krankheit zurück. „Danach ging alles rasend schnell“, sagt der Entwicklungsingenieur. Die Sielemanns sprachen über den Tod, darüber, wer zur Trauerfeier kommen, welche Musik gespielt werden soll. „Who Wants to Live Forever“ von Queen sollte dabei sein.
Gemeinsam entschied sich das Ehepaar für eine „Tree-of-life“-Bestattung. Bei dieser Bestattungsform wird die Asche der Verstorbenen unter notarieller Aufsicht schrittweise in ein Substrat eingearbeitet, in das ein zuvor aus einem Katalog ausgewählter Baum eingepflanzt wird. Das kann eine Magnolie sein, eine Rotbuche, ein Ginkgo oder eben eine Felsenbirne. Der Gedanke dahinter: Der Verstorbene kehrt in den Kreislauf des Lebens zurück, er lebt in der Natur weiter.
„Dieser Gedanke gefiel meiner Frau“, sagt Sielemann. „Im Einklang mit der Natur zu leben, das war ihr immer wichtig, sie war naturverbunden, in jeder freien Minute an der frischen Luft, sie liebte ihre Hunde.“
Eine juristische Grauzone in Deutschland
In Deutschland ist das Prozedere, die Asche mit Erde zu vermischen und darin etwas anzupflanzen, verboten. Es gibt einen Friedhofszwang. „Die Asche Verstorbener darf nur auf einem Friedhof verstreut oder vergraben werden“, sagt Christoph Keldenich, Geschäftsführer der Verbraucherinitiative Bestattungskultur „Aeternitas“ aus dem nordrhein-westfälischen Königswinter. Er spricht von einer Grauzone.
Die Asche wird bei „Tree-of-life“-Bestattungen deshalb in Nachbarländer mit liberaleren Bestattungsregelungen gebracht wie die Niederlande, die Schweiz oder Tschechien. Die Urne mit der Asche von Olaf Sielemanns verstorbener Ehefrau wurde nach der Einäscherung in eine niederländische Spezialbaumschule transportiert und nach einer Durchwurzelungszeit von rund einem halben Jahr zurück nach Deutschland gebracht – zu dem Bestattungsunternehmen Cordes in Ronnenberg in der Region Hannover.
Sven Friedrich Cordes ist seit 2005 Bestatter. Er führt das Bestattungsunternehmen in dritter Generation und hat die Baumbestattung des Unternehmens „Tree of life“ mit Sitz in Seehausen in der Region Altmark in Sachsen-Anhalt seit 2015 im Angebot. Auch andere Unternehmen wie „Lebensbaum-Bestattung“ bieten eine solche Bestattungsform an.
Das Ende von konservativer Trauerkultur
Cordes ist es wichtig, dass die Menschen, die zu ihm kommen, Angebote für Bestattungen bekommen, die ihnen entsprechen. „Es geht um Selbstbestimmung“, sagt er. Von verpflichtenden Konventionen und Ritualen hält er nicht viel. „Die Zeiten konservativer Trauerkultur und One-fits-it-all-Lösungen sind vorbei.“ Es gebe immer mehr Menschen, die „dieses ganze friedhofsästhetische Einerlei“ nicht mehr wollen.
Olaf Sielemann freut sich, dass Cordes ihm zur Seite stand. „Wir wurden toll betreut“, sagt er. Die Trauerrede haben er und seine 27-jährige Tochter selbst gehalten, die Trauerpostkarten selbst gestaltet, der Sarg wurde von den Gästen bemalt.
Als Sielemann die Felsenbirne in einem Bast-Korb in den Händen hielt, war sie schon etwa einen Meter hoch. „Sie hatte bereits etliche kleine Zweige mit Blättern dran“, sagt er. Zu dritt pflanzten sie den Strauch ein – Sielemann, seine Tochter und die Freundin seiner Frau. Im Garten der Freundin wächst und gedeiht die Felsenbirne nun. Ideal gelegen auf etwa halbem Weg zwischen dem nördlichen Hannover und dem Wohnort von Sielemanns Tochter südlich von München. Sielemann besucht die Felsenbirne regelmäßig. Und zwischendurch bekommt er Fotos, gerade vor ein paar Tagen erst. Die Blätter der Felsenbirne färben sich langsam herbstlich rot. „Schön sieht es aus“, sagt er und ergänzt nachdenklich: „Ich finde das sehr angemessen, ich würde es wieder so machen.“