Keine zehn Minuten nach Schichtbeginn kommt schon eine erste Frau an den Schalter zu Lena Zerfowski. “Sagen Sie, wie kann ich denn hier diese E-Mail entgegennehmen?”, fragt die Seniorin und zeigt auf ihr Handy. “Kein Problem”, antwortet Zerfowski, “das bekommen wir zusammen hin”. Die 29-Jährige arbeitet in der Berliner Zentralbibliothek und ist dort eine sogenannte Digital-Lotsin – eine kostenlose Ansprechpartnerin für Fragen rund um Handy, Computer und Internet.
In einer fortlaufend digitaler werdenden Gesellschaft kämen viele Menschen nicht mehr mit, erklärt Zerfowski. Das sei ein immenses Problem, seien doch zentrale Bereiche des alltäglichen Lebens betroffen: “Wir bekommen Fragen zum Senden von Nachrichten, zu Online-Überweisungen, zu Internet-Portalen von Behörden oder auch zu den sozialen Medien.” Wichtig sei ihr, den Menschen ihre Ängste zu nehmen. “Es gibt keine schlechten Fragen”, sagt sie. “Wenn wir den Menschen hier helfen können, können sie künftig das Internet mit positiven Erfahrungen besetzen.”
Digital-Lotsen unterstützen bei Hilfe zur Selbsthilfe
Dabei setzt Zerfowski besonders auf zwei Aspekte. Zum einen sei das Angebot eine “Hilfe zur Selbsthilfe”. Sie erkläre zwar, wie etwas funktioniert – ausführen müssten es aber die Leute immer selbst. Zum anderen ist für Zerfowski wichtig: Geduld. Eine Beratung könne auch mal bis zu zwei Stunden dauern. “Natürlich hängt es davon ab, wie groß gerade der Andrang ist. Aber wir versuchen, auf alle Fragen genau einzugehen. Auch wenn wir dann manche Dinge zehnmal üben.”
Doch es kommen nicht nur Senioren zu Zerfowski, sondern auch Menschen mit einer Migrationsgeschichte oder mit Einschränkungen wie einer Sehbehinderung. Zudem kämen Menschen, die kein Geld für einen Internetanschluss oder einen Computer hätten und die die in der Zentralbibliothek stehenden Geräte nutzen wollten. Sogenannte digitale Armut – mangelnde Kenntnisse über und fehlende Zugänge zum Internet – ist nicht nur in Berlin ein Problem. Laut Statistischem Bundesamt hatten 2024 etwa 2,8 Millionen Menschen zwischen 16 und 74 Jahren in Deutschland noch nie das Internet genutzt.
Digital-Lotsen: Hohe Nachfrage in Kiez- und Großbibliotheken
“Das ist auch angesichts demokratischer Teilhabe ein Missstand”, sagt Jacob Svaneeng vom Verbund der öffentlichen Bibliotheken Berlins. Er ist Projektleiter der Digital-Lotsen, die auch “Digital-Zebras” genannt werden. In Berlin gibt es derzeit 15 Lotsen, die auf mehrere Bibliotheken der Stadt verteilt sind. Weitere Lotsen seien in Planung. Das Angebot werde gut angenommen, sagt Svaneeng: “In den kleineren Kiez-Bibliotheken kommen fünf bis sechs Menschen pro Tag, in den größeren auch mal 20.”

Das Projekt gibt es seit 2023. Ursprünglich waren lediglich Computer-Terminals geplant. “Doch wir haben schnell gemerkt, dass wir Menschen vor Ort brauchen”, sagt Svaneeng. Die vielschichtigen Probleme sowie das Bedürfnis nach menschlichem Kontakt könnten Maschinen nicht lösen: “Wir setzen auf natürliche Intelligenz.” So hätten bereits angestellte Mitarbeiter der Bibliotheken die Aufgaben der Digital-Lotsen übernommen. Das Projekt, das unter von der EU und aus Mitteln des Berliner Senats finanziert wird, hat noch eine Laufzeit bis 2028, sei aber auf Verstetigung ausgelegt.
Kunden schätzen persönliche Unterstützung der Digital-Lotsen
Ein dauerhaftes Bestehen der Digital-Zebras würde sicher viele der Menschen freuen, die das Angebot regelmäßig nutzen, sagt Zerfowski. Sie erzählt von “Stammkunden”, die mehrmals die Woche zur Beratung kämen. Dabei gehe es um mehr als um schlichte Informationen. “Wenn wir merken, dass jemand einsam ist, dann hören wir zu und vermitteln Kontakte zu Treffpunkten oder Vereinen.” Die Beratung diene zudem als Wegweiser, um etwa den nächsten Pflegestützpunkt oder die nächste offene Rechtsberatung im Stadtbezirk finden zu können.
Bleibt noch eine Frage offen: Warum nennt sich das Projekt Digital-Zebras? “Der Name sollte locker sein und nicht behördlich klingen”, erklärt Svaneeng. “Wir sind nicht hier, um Menschen zu verwalten.” Wie ein Zebrastreifen würden die Lotsen durch die digitale Welt leiten. Dieses Bild sei einprägsam und funktioniere auch gut in der Mund-zu-Mund-Propaganda. “Denn auch so machen wir noch auf uns aufmerksam – ganz klassisch durch Erzählungen.”
