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Mahnungen zum Holocaust-Gedenktag – Wissenslücken und Wahlempfehlung

Erinnerungskultur stärken: Gerade bei jungen Menschen in Deutschland ist das Wissen über den Holocaust zu dürftig, bemängeln Politiker. Vertreter des Judentums warnen derweil vor der Wahl einer Partei.

Zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus rufen Vertreter von Politik und Gesellschaft in Deutschland zu einer Stärkung der Erinnerungskultur gerade bei jungen Menschen auf. Zugleich warnen Juden davor, dass jüdisches Leben in der Bundesrepublik aktuell wieder so bedroht sei wie seit langem nicht mehr.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bemängelte Wissenslücken gerade bei der jüngeren Generation. “Es muss uns bedrücken, wie viele junge Menschen in Deutschland kaum noch etwas über den Holocaust wissen”, sagte er der “Stuttgarter Zeitung”, den “Stuttgarter Nachrichten” und den Zeitungen der Neuen Berliner Redaktionsgesellschaft (Montag). “Das ist eine Mahnung und ein Auftrag an uns alle, daran etwas zu ändern.”

Der Kanzler nannte es “wichtig, dass wir möglichst vielen jungen Menschen ermöglichen, mit den noch lebenden Zeitzeugen zu sprechen. Und wir müssen die Erinnerung hochhalten, wenn die letzten Zeugen einmal nicht mehr leben.” Scholz reist am Montag genau wie Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zur Gedenkfeier in das ehemalige Konzentrationslager Auschwitz in der Nähe von Krakau.

Ähnlich äußerte sich auch Bundesbildungsminister Cem Özdemir (Grüne). Man dürfe niemals zulassen, dass die Verbrechen des nationalsozialistischen Deutschlands in Vergessen gerieten. “Allen Relativierungsversuchen haben sich Demokratinnen und Demokraten entgegenzustellen. Das ist unsere Verantwortung. Das ist eine fortwährende Aufgabe – auch in unseren Schulen und Hochschulen”, sagte Özdemir dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Das Verständnis der Einzigartigkeit der Schoah gehöre zur DNA der Bundesrepublik; Bildung und Forschung leisteten einen wesentlichen Beitrag, dass die Erinnerung an die dunkelsten Kapitel deutscher Geschichte wach bleibe und so etwas nie wieder geschehe.

Scholz und Özdemir bezogen sich auf eine jüngste Umfrage im Auftrag der Jewish Claims Conference. Diese hatte ergeben, dass fast 40 Prozent der Befragten zwischen 18 und 29 Jahren in Deutschland keine korrekten historischen Angaben zur NS-Zeit machen konnten – etwa, dass rund sechs Millionen Juden ermordet wurden. Jeder zehnte Erwachsene kennt demnach die Begriffe Holocaust oder Schoah nicht.

Der internationale Holocaust-Gedenktag beziehungsweise der Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus wird am Montag begangen. Am 27. Januar 1945 befreiten Soldaten der Roten Armee das NS-Vernichtungslager Auschwitz. In diesem Jahr jährt sich die Befreiung zum 80. Mal.

Der jüdische Publizist Michel Friedman wies darauf hin, dass das jüdische Leben in Deutschland 80 Jahre nach der KZ-Befreiung aktuell so gefährdet sei wie seit Jahrzehnten nicht. “Jüdische Menschen haben Angst, sind bedroht, ihre Lebensqualität ist eingeschränkt. Weil sie Juden sind”, schrieb Friedman in einem Gastbeitrag für die “Süddeutsche Zeitung”. Lügen und Hetze könnten sich gerade in Sozialen Medien verbreiten. “Ich erwarte, dass die Gesellschaft, der Staat und auch die Staatengemeinschaften sich gegen die Lügen stellt, dass jeder Einzelne das tut. Wir sind den Musks und Zuckerbergs und auch den Trumps nicht hilflos ausgeliefert.”

Friedman bezeichnete die Bundestagswahl im Februar als “entscheidenden Moment” für die Rettung der Demokratie. Ohne sie namentlich zu nennen, sprach sich der Publizist gegen die AfD aus, die er als “antidemokratische Partei” bezeichnete, die anderen das “Menschsein” absprechen wolle. Gleichwohl werde sie derzeit von rund einem Fünftel der Wähler unterstützt. “Eins steht fest: Dieses Mal kann keiner sagen, er oder sie habe es nicht gewusst. Dieses Mal kann keiner sagen: Ich wasche meine Hände in Unschuld.”

Auch die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch, äußerte sich besorgt über die Umfrageergebnisse der AfD. Die Partei greife die Demokratie von innen heraus an und bekomme “sehr viele Zuhörer dafür”, warnte die Holocaust-Überlebende im Deutschlandfunk.