Die von Brasilien geplante G20-Agenda in Sachen Klima, Armut und Besteuerung von Reichen gerät ins Abseits. Für Missklänge in Rio sorgen kurz vor Gipfelbeginn Argentiniens Präsident Milei und Brasiliens First Lady.
An diesem Montag und Dienstag findet in Rio de Janeiro der G20-Gipfel statt, das Treffen der größten Industrienationen inklusive Europäischer und Afrikanischer Union. Ein Sicherheitsapparat von 26.000 Mann soll die Staats- und Regierungschefs am Zuckerhut schützen. Brasilien hat unter der Führung von Präsident Luiz Inacio Lula da Silva drei Themen als zentral für die Agenda gesetzt: den Kampf gegen Hunger und Armut, eine nachhaltige Energiewende sowie die Reform globaler Institutionen.
Für einen gelungenen Auftakt sollte es symbolträchtige Bilder zu Lulas ambitioniertem G20-Gipfel geben: US-Präsident Joe Biden traf sich am Sonntag auf dem Weg nach Rio in der brasilianischen Urwaldmetropole Manaus mit Indigenen. In Begleitung von Experten überflog der 81-Jährige eigens den Amazonaswald. Biden betonte die Wichtigkeit des Umwelt- und Klimaschutzes, ganz im Sinne von Gastgeber Lula.
Doch Bidens Geste ging in der medialen Wahrnehmung nahezu unter, weil seine Regierung zugleich der Ukraine mehr Freiraum beim Einsatz von US-Waffen auf russischem Gebiet einräumte. Zudem löste die Höhe der von den USA angekündigten Spende von 50 Millionen Dollar für den Amazonasschutz in Brasilien Enttäuschung aus. 2023 hatte Biden 500 Millionen Dollar zugesagt, bisher aber nur 50 Millionen überwiesen. Mit nun nochmals 50 Millionen wären es insgesamt gerade einmal 100 Millionen. Dass unter dem künftigen Präsidenten Donald Trump ab Januar weitere Spenden kommen, ist nicht zu erwarten.
Es war nicht der einzige Missklang kurz vor Beginn des Gipfels. Am Samstag verlor Brasiliens First Lady bei einer G20-Nebenveranstaltung die Fassung und beschimpfte X-Chef Elon Musk in vulgärem Ton. “F… you, Elon Musk”, sagte Rosangela da Silva während einer Diskussionsrunde zum Thema Internet-Regulierung. Der Tech-Milliardär und enge Vertraute Trumps entgegnete, dass Lulas Partei die nächsten Wahlen verlieren werde. Die Entgleisung der First Lady führte zu Verstimmung unter brasilianischen Diplomaten. Denn eigentlich ist Lula eifrig bemüht, das ohnehin angespannte Verhältnis zu Trump zu entschärfen.
Aus Argentinien kommen weitere diplomatische Störfeuer. Präsident Javier Milei, der Lula im Wahlkampf 2023 beschimpfte und seit Amtsantritt vor einem Jahr noch keinen Kontakt zum Amtskollegen hatte, will offenbar die geplante Abschlusserklärung des G20-Gipfels boykottieren. So ist Milei gegen die Einführung einer globalen Steuer für Superreiche von zwei Prozent, mit der Lula einen “Pakt gegen Hunger und Armut” mitfinanzieren will. Auch Erklärungen zu Genderfragen, zu Internet-Zensur, zu Umweltschutz sowie zur UN-Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung will Argentinien nicht mittragen.
Am Wochenende versuchte der französische Präsident Emmanuel Macron bei einem Besuch in Buenos Aires, Milei zu einer konstruktiven Zusammenarbeit zu bewegen. Dieser hatte zuletzt bereits die argentinische Delegation von der andauernden Klimakonferenz COP29 in Aserbaidschan abgezogen. Milei könnte zudem seinem politischen Vorbild Trump nacheifern und aus dem Pariser Klimaabkommen von 2015 aussteigen. In Rio will er sich mit dem chinesischen Staatschef und dem indischen Premier treffen. Ein Gespräch mit Gastgeber Lula ist nicht geplant.
Druck auf Änderungen in dem Abschlussdokument kommt laut brasilianischen Medien auch von anderen Staaten, die nach massiven Raketenangriffen auf die Ukraine eine Verurteilung Russlands aufnehmen wollen. Brasiliens Diplomatie ist seit Wochen bemüht, die Kriege in der Ukraine und in Nahost möglichst vom G20-Gipfel fernzuhalten. UN-Generalsekretär Antonio Guterres bat die Teilnehmer am Sonntag angesichts der heiklen Gemengelage um guten Willen: “Wenn die G20-Gruppe auseinanderbricht, wird sie auf der globalen Bühne an Bedeutung verlieren.”
Guterres unterstützte vor der Presse in Rio überdies Brasiliens Forderung einer Reform der UN. So repräsentiere der Sicherheitsrat “die Welt der 1980er Jahre”. Nur die fünf ständigen Mitglieder Großbritannien, Frankreich, USA, China und Russland haben derzeit ein Vetorecht. Brasilien will selbst ständiges Mitglied werden und spricht sich für die Aufnahme weiterer Länder des aufstrebenden Globalen Südens aus.
Zudem erklärte Guterres, dass der Erfolg der derzeit in Aserbaidschan tagenden Klimakonferenz COP29 vom G20-Gipfel in Rio abhänge. So bedürfe es bei den in Baku laufenden Verhandlungen zur Finanzierung von Programmen gegen den Klimawandel der Führung durch die G20-Staaten. Westliche Länder drängen derweil in Baku darauf, dass auch Länder wie Brasilien, die Türkei und Indien finanzielle Verpflichtungen eingehen. Die G20-Länder sind gemeinsam für rund 80 Prozent aller Treibhausgasemissionen verantwortlich.
So wird es auf Präsident Lulas Geschick ankommen, in persönlichen Gesprächen mit den Staats- und Regierungschefs seine ambitionierte Agenda voranzutreiben. Bisher ist nur die Absage des russischen Präsidenten Wladimir Putin sicher, der wegen eines internationalen Haftbefehls nicht nach Brasilien reisen wird. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat trotz Regierungskrise in Deutschland seine Teilnahme bestätigt. Einen anschließenden Besuch in Mexiko hat er dagegen abgesagt.