Artikel teilen:

Luisa Neubauer: “Friedrich Merz muss liefern!”

Klimapolitik als mühsamer Weg vieler kleiner Schritte: Was die Konferenz in Brasilien wirklich leisten kann – und wo jetzt jede und jeder gefragt ist. Interview mit Klimaaktivistin Luisa Neubauer.

Klimaaktivistin Luisa Neubauer
Klimaaktivistin Luisa NeubauerImago / Mauersberger

Kurz vor Ende der COP30 im brasilianischen Belém starten die harten Verhandlungen um die Abkehr von fossilen Energien wie Kohle, Öl und Gas. Umweltminister Carsten Schneider und weitere Vertreter anderer Staaten erhöhen bei der Klimakonferenz den Druck und fordern in einem gemeinsamen Schreiben einen konkreten Plan zum fossilen Ausstieg. Luisa Neubauer beobachtet die COP von Deutschland aus. Im Interview sprechen wir mit ihr über die aktuellen Verhandlungen und über die deutsche Klimapolitik. Und darüber, ob sich Mieterinnen und Mieter vor energetischen Sanierung fürchten müssen.

Wie erleben Sie die Stimmung auf der Klimakonferenz in Belém? Ist das irgendwas zwischen diplomatischen Appellen und einer wachsenden Verzweiflung über das Scheitern des 1,5-Grad-Ziels?
Man merkt sehr akut, dass Klimapolitik ein harter Kampf ist. Die fossilen Industrien kämpfen mit aller Kraft um ihr Überleben, sie haben massenweise Lobbyisten auf die COP30 geschickt. In weiten Teilen ist es ernüchternd zu erleben, dass die Bewohnbarkeit des Planeten nicht von allen Ländern gleichermaßen als obere Prämisse gewertet wird, was zeigt wie ambitioniert das Format der Klimakonferenz ist. Aber – es ist entscheidend festzuhalten, dass es den Willen gibt, weltweit zügig aus fossilen Energien auszusteigen. Dass es auf dieser Grundlage überhaupt ernsthafte Diskussionen geben kann, wäre vor drei Jahren noch undenkbar gewesen.

Positiv und hoffnungsgebend ist das Engagement der Zivilgesellschaft. Die COP findet das erste Mal seit längerer Zeit wieder in einem demokratischen Land statt, das bedeutet viel mehr Spielraum für Protest von Fridays for Future und vielen anderen vor Ort. Als extrem positiv sind etwa die Proteste der indigenen Aktivisten zu sehen.

Was erwarten Sie konkret von der Klimakonferenz in Brasilien?
Wegen der aktuellen geopolitischen Lage startete die COP30 mit einem Bauchgrummeln. Ich erwarte nicht, dass sie die Klimakrise löst. Über viele Details ist man sich nicht einig, aber in der Grundausrichtung gibt es eine Mehrheit, die sagt, dass wir uns aus der fossil-produzierten Klimakrise retten wollen. Auch wenn das banal klingt – das wurde zuletzt durchaus in Zweifel gezogen. Die möglichen Ergebnisse der jetzigen Klimakonferenz könnten eine Grundlage dafür sein, dass alle Staaten der Welt sagen: jetzt wird angepackt.

Die Bundesregierung hat jetzt erst beschlossen, die Abgaben für Flugtickets zu senken und die Industriestrompreise zu senken. Es geht dabei um die Wettbewerbsfähigkeit des Industriestandortes Deutschland. Das klingt aber nicht nach anpacken, oder?
Die Bundesregierung verhält sich gerade wie ein trotziges Kind, dass sich weigert, die einfachsten Hausaufgaben zu machen.

Offensichtlich finden in Belém Verhandlungen abseitig der offiziellen Agenda statt. Dadurch erhofft man sich kleinere Durchbrüche. Für Deutschland scheint das aber keine Rolle zu spielen. Friedrich Merz bleibt auf seinem Kurs.
Der deutsche Umweltminister Carsten Schneider ist vor Ort und er setzt sich wahnsinnig für eine gute Klimapolitik ein. Das muss man einfach anerkennen. Auch deutsche Delegationen mit viel Erfahrung, Aktivisten, die sich reinhängen und gute Ergebnisse erzielen wollen, bereichern die Konferenz. So wie Friedrich Merz sich verhält, kann man nur annehmen, dass ihm eine lebenswerte Zukunft auf dem einzigen Planeten, den wir haben, egal ist.

Es ist schade, dass Merz nicht positiv auffällt und es wäre deshalb wünschenswert, er würde gar nicht auffallen. Im Gegenteil schafft er es aber, negativ aufzufallen und mit seinen Aussagen über Brasilien und über Belém brasilianische Politiker zu verärgern und die COP als multilaterales Format zu schädigen. Auf einem G-20 Treffen würde er sich sicher nicht so verhalten. Ich unterstelle ihm eine performative Respektlosigkeit.

Deutschland gilt als Land mit einer hohen ökologischen Verantwortung, musste im Klimaschutz-Index aber jetzt sechs Plätze einbüßen und rutscht auf Rang 22 ab. Die Emissionen hierzulande steigen wieder. Wie kann gegengesteuert werden?
Die deutsche Klimapolitik ist daran gebunden, welchen Kurs der Kanzler und sein Kabinett einschlagen. Aber Gott sei Dank nicht nur. Mindestens genauso wichtig ist, was in den Bundesländern passiert, und dass es in den Kommunen vorangeht. Dass die Menschen sich in ihren Vierteln und Nachbarschaftsräumen entscheiden, voranzugehen. Und das passiert. Dort sehen wir, dass die Bürgerinnen und Bürger die Bundesregierung und vor allem Friedrich Merz längst überholt haben. Bei einem weiteren Blick stellen wir fest, dass jedes Unternehmen mittlerweile einen Ausstiegspfad aus Emissionen verabschiedet hat. Dass auf kommunaler Ebene die Energiewende massiv vorangetrieben wird.

Können Sie konkrete Beispiele nennen?
Ja, natürlich. Blicken wir etwa auf den gewonnenen Zukunftsentscheid von Hamburg. Die zweitgrößte Stadt Deutschlands wird nun fünf Jahre früher klimaneutral als ursprünglich politisch geplant. Oder Schleswig-Holstein, wo der Ausbau der Windenergie in schnellem Tempo vorangeht. Ganze Dörfer und Gemeinden, ausgerechnet in Bayern, die inzwischen energieautark sind. oder die Insel Borkum, die unwahrscheinlichen Widerstand gegen ein neues Gasfeld leistet. In jeder Kita, in jedem Krankenhaus, in jeder Kirchengemeinde wird heute über Nachhaltigkeit gesprochen und wie sie am besten umgesetzt werden kann. Das ist manchmal auch träge und unfassbar bürokratisch. Aber: es passiert.

Im ÖPNV oder bei der energetischen Sanierung im Gebäudesektor tut sich dagegen relativ wenig. Brauchen wir nicht große, strukturelle Veränderungen, um der Erderwärmung spürbar entgegenzutreten?
Maßnahmen gegen die Klimakrise sind nicht ein großer Hebel, sondern viele kleine Hebel, die in der Summe wirken. Die aktuelle Bundesregierung, allen voran die Union, gibt sich die größte Mühe, die vielen kleinen Maßnahmen zu verlangsamen. Es passiert aber was, auch wenn diese Transformation mühsam ist.

In der Wärmewende des Gebäudesektors fehlt eine tragfähige Vision, wie man eigentlich klimaneutral werden möchte. Und gleiches gilt auch für den Verkehr. Hier wiegt die Last von vielen autoindustrienahen ehemaligen Verkehrsministern und einer starken Automobillobby schwer. Dennoch hat das Deutschlandticket gezeigt, dass die Menschen bereit sind, umzusteigen

Mit der Preiserhöhung des Deutschlandtickets sind viele aber wieder abgesprungen.
Das zeigt ja deutlich, dass die Bundesregierung Anreize über den Preis schaffen kann. Sie subventioniert nun die Fluggesellschaften mit 350 Millionen Euro. Zeitgleich spart sie beim Deutschlandticket ein. Das ist eine Katastrophe.

Ist es nicht so, dass sich viele Bürgerinnen und Bürger mehr Klarheit wünschen, Vorgaben und Veränderungen auf struktureller Ebene, um aus dem Klimaschlamassel rauszukommen?
Da haben sie Recht, eine deutliche Mehrheit wünscht sich von der Politik ambitionierteren Klimaschutz. Aber jetzt müssen wir mit dem arbeiten, was die Regierung liefert oder eben nicht. Und nur, weil die Bundesregierung nicht liefert, den eigenen Kopf in den Sand zu stecken, wäre falsch. Umso weniger die Regierung liefert, umso mehr ist die Zivilgesellschaft gefragt. Jede und jeder kann seinen und ihren Teil leisten.

Wohnen ist das soziale Thema unserer Zeit. Viele Mieterinnen und Mieter in Deutschland plagt große Angst, dass mit einer energetischen Sanierung die Mieten weiter explodieren. Gibt es dafür Lösungen?
Es müssen Regelungen her, die es dem Vermieter unmöglich machen, diese Kosten auf seine Mieter umzulegen. Da geht Hamburg mit gutem Beispiel voran und plant, mit dem bereits erwähnten Zukunftsentscheid ein Klimaschutzgesetz auf den Weg zu bringen, was Mieterinnen und Mieter schützt. Können Vermieter diese Kosten nicht stemmen, müssen Finanzierungsprogramme geschaffen werden. Große Wohnbauunternehmen schaffen das auch allein.

Andererseits muss allen klar sein, sollten die energetischen Sanierungen ausbleiben, werden die Wohnnebenkosten durch die Decke gehen. Wer dann noch mit Öl oder Gas heizt, wird diese Preise kaum noch bezahlen können.

Wenn wir nochmal auf die Klimapolitik der Bundesregierung zurückkommen, da ist immer von einer realistischen Klimapolitik die Rede. Es geht also um die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit. Was stellen Sie dem entgegen?
Weltweit stehen die Zeichen auf Dekarbonisierung und der Wind hat sich längst in Richtung Ökologie gedreht. Die Märkte der Zukunft werden um den günstigsten Strompreis ringen und dieser wird erneuerbar sein. Die Frage wird sein, wo es eine nachhaltige Infrastruktur gibt, die keine CO2-Preise aufschlägt und wo keine teuren CO2-Zertifikate eingekauft werden müssen. Auf dem Weg dahin gibt es allerdings Staaten, die es sich gemütlich machen oder einfach nur ein paar fette fossile Jahre mitnehmen wollen.

Deutschland subventioniert die fossilen Energien jährlich mit 60 Milliarden Euro, das ist nicht zukunftsfähig. Wenn Deutschland jetzt nicht umsteuert, wird dieses Land in ein paar Jahren wie der Trottel vorm Berg stehen und es bereuen, das sinkende fossile Schiff nicht verlassen zu haben. Ein sehr gutes Beispiel ist der Automobilsektor. Autobauer in China sind längst weltweit erfolgreich durch E-Mobilität. Deutschland ist in diesem Sektor abgehängt, von Wettbewerbsfähigkeit ist schon heute keine Rede mehr. Die deutsche Automobilindustrie wie VW und Co. guckt jetzt in die Röhre und kämpft mit allen Bandagen gegen das Verbrenner-Aus. . Die CDU macht den selben Fehler wie zu Zeiten der GroKo, auch hier hat man die erfolgreiche deutsche Solarindustrie abgewürgt, auch dieser Markt ist nun in China. Gefragt wäre eine Politik mit Vernunft- und Visionskraft.

Wenn auf politischer Ebene die Visionskraft fehlt, wie will man dann die Bevölkerung mitnehmen? Flugreisen sind beliebter denn je.
Die Mehrheit der Menschen in Deutschland, und das zeigen aktuelle Umfragen, will mehr Klimaschutz . Politik muss diesem Willen folgen und entsprechende Gesetze schaffen. Klimaschutz ist rechtlich verbindlich, das hat das Bundesverfassungsgericht entschieden. Friedrich Merz und die Regierung müssen liefern. Ansonsten können sie vor Gerichten verklagt werden oder müssen Strafen in Brüssel zahlen.

Die Fridays-for-Future-Bewegung steckt in der Krise. Den deutschlandweiten Klimaprotesten vom vergangenen Freitag folgten nur wenige tausend Menschen. Nicht vergleichbar mit den Anfängen 2019. Wie kann man die Menschen wieder mehr begeistern und ihnen Hoffnung geben, dass das, was sie tun oder was sie sich wünschen, auch in die Umsetzung kommt?
Wir gehen seit sieben Jahren mehrfach im Jahr mit Tausenden von Menschen bundesweit auf die Straße, alleine letzte Woche waren wir in mehr als 75 Städten in Deutschland präsent. Welche andere Bewegung macht etwas Vergleichbares in Deutschland über so einen langen Zeitraum? Gott sei Dank gibt es diese vielen Menschen, die für eine lebenswerte Zukunft einstehen.

Das große Momentum, was wir 2019 und in den Folgejahren bis 2023 hatten, hat seinen Weg auch in die Mitte der Gesellschaft gefunden, es gibt in vielen Kommunen Klimaschutzmanager – Kirchen, Gewerkschaften und Unternehmen gehen voran, auch einzelne regionale Klimainitiativen, wie der Hamburger Zukunftsentscheid, haben ihre Wurzeln in der Fridays-for-Future- Bewegung.

Die Bewegung ist nicht nur auf der Straße sondern überall und jeden Tag im ganzen Land aktiv, daher ist der Blick nur auf die Protestzahlen zu schauen zu kurz gegriffen. Sicher fragen sich viele, ob die aktuelle Bundesregierung bei ihrem fossilen Kurs überhaupt noch Proteste hört. Dann ist es wichtig, auf die Erfolge und Gewinne zu schauen und das ist etwas, was große Hoffnung gibt. Schauen wir nur auf den Green Deal, den Kohleausstieg oder den gewonnenen Zukunftsentscheid in Hamburg. Das alles haben wir erkämpft und es wird noch viel mehr kommen.