Der Schädel eines Mannes aus der indigenen Gemeinschaft der Selk’nam ist am Freitag im Lübecker Rathaus an eine Delegation aus Feuerland (Chile) übergeben worden. Direkt nach der Übergabezeremonie wurde der Schädel auf einem Lübecker Friedhof beigesetzt, wie die Lübecker Museen mitteilten. Damit sei erstmals ein Ahne von einer indigenen Gemeinschaft aus einem kolonialen Gewaltkontext in Deutschland bestattet worden, hieß es. Der Schädel sei 1914 von einem deutschen Auswanderer in der Stadt Punta Arenas als Geschenk an das damalige Lübecker Völkerkundemuseum gesandt worden.
In der Sammlung „Kulturen der Welt“ befinden sich den Angaben zufolge sterbliche Überreste von 25 Personen, deren Herkunft im Rahmen einer Provenienzforschung seit 2022 ermittelt wurde. Die meisten Überreste kamen im historischen Kontext des Kolonialismus nach Lübeck und seien teils ohne Zustimmung von Angehörigen aus Gräbern geraubt worden, hieß es. Dies gelte auch für den Schädel des Mannes aus Feuerland.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts habe es eine massenhafte Vertreibung und Ermordung der indigenen Bevölkerung Feuerlands gegeben, da europäische Auswanderer ihr Territorium als Weideland für die Wollproduktion der weltweit erblühenden Textilindustrie nutzen wollten, hieß es. Als vermeintlich „primitivste Menschen auf Erden“ seien ihre Gebeine begehrtes Studienmaterial für die physische Anthropologie gewesen. Trotz massiver Proteste der Überlebenden seien Gräber geöffnet, Schädel und Knochen an Museen in aller Welt versandt worden.
Ebenso seien Indigene im Rahmen von „berüchtigten Völkerschauen“ in deutschen Zoos präsentiert worden. „Mit der Zeit galten die Selk’nam als ausgestorben. 2023 hat die chilenische Regierung die Selk’nam jedoch wieder als indigene Gemeinschaft anerkannt“, so die Lübecker Museen.
Anfang 2024 autorisierte die Bürgerschaft die Lübecker Museen laut Mitteilung zur Durchführung der Rückführung sterblicher Überreste. Im August erfolgte eine erste Rückgabe nach Peru. Auch die Regierung Chiles zeigte sich den Angaben zufolge offen, eine Rückführung durch die Lübecker Museen zu unterstützen. Nach chilenischem Recht müssen sterbliche Überreste an das dortige Kultusministerium übergeben werden, das dann eine Freigabe zur Bestattung erteilt. Die Selk’nam hätten jedoch Vorbehalte gegen dieses Verfahren und forderten eine direkte Übergabe von den Lübecker Museen unter Ausschluss der chilenischen Behörden, hieß es.