Die “Tatort”-Ermittlerinnen Lena Odenthal und Johanna Stern haben einen Mord am Flussufer aufzuklären. Dafür tauchen sie tief in die digitale Welt und ihre Gefahren ein.
Der Unbekannte sei gestern um 18.07 Uhr gestorben. Für diese Bemerkung erntet Techniker Peter Becker (Peter Espeloer) von seiner Chefin Lena Odenthal (Ulrike Folkerts) einen ungläubigen Blick. Seinem Verweis auf 40 Jahre Berufserfahrung will sie nicht recht folgen. Die Auflösung folgt indes prompt: Der Tote trug eine Smartwatch, die zu jener Zeit stehenblieb.
Die digitale Welt spielt eine Hauptrolle im Ludwigshafener “Tatort: Avatar”, wie bereits der treffende Titel und die ersten Szenen verraten. Julia de Borg (Bernadette Heerwagen) tanzt mit einem Sektglas durch die Wohnung und filmt sich selbst mit dem Handy. Wenig später sitzt sie ihrer Ziehtochter Sina (Ziva Marie Faske) am Computer gegenüber und spricht mit ihr per Videogespräch. Das Foto des Teenagers ploppt gleichzeitig auf dem Display des Handys ihrer besten Freundin Marie (Leni Deschner) auf.
Ob alle drei eine Beziehung zu dem Toten hatten, klären Lena Odenthal und ihre Kollegin Johanna Stern (Lisa Bitter) in den folgenden Tagen auf. Den “Tatort” in der Regie von Miguel Alexandre nach einem Buch von Harald Göckeritz strahlt das Erste am 7. Januar um 20.15 Uhr aus.
Die erste Auswertung von Beweismitteln führt die beiden Ermittlerinnen schnell zu Julia. Ihr Handy war zur Tatzeit in der Nähe des Leichenfundorts eingeloggt; sie muss den Toten gesehen haben. Die Mittvierzigerin behauptet jedoch, sie sei gejoggt und habe nicht auf die Umgebung geachtet. Das Verhalten der Computerspezialistin macht Odenthal und Stern aber stutzig. Ihr Misstrauen gegenüber der mutmaßlichen Zeugin wächst, als sie deren Background checken und auf einen alten Todesfall in den Akten stoßen. Vor einem Jahr ist Julias Ziehtochter genau an der Stelle am Rhein ertrunken, an der jetzt der Tote gefunden wurde.
Der Unfall hat Julias langjährige Beziehung zerstört und sie offenbar aus der Bahn geworfen. Sie wird von Schuldgefühlen geplagt und sucht nach Erklärungen für den Tod im eisigen Fluss. In der digitalen Hinterlassenschaft des jungen Mädchens findet sie Hinweise, dass es in den Suizid getrieben worden sein könnte. Ist Rache ein mögliches Motiv für den Mord?
Sehr feinfühlig beschreibt der Film den Umgang mit dem Schmerz nach einem großen Verlust. Julia hat sich einen Avatar nach dem Abbild ihrer Ziehtochter geschaffen; die Nachrichten auf ihrem Handy hat sie zu Konversationen mit ihr umgestaltet. Die Tüftelei mag sie zunächst von ihren Schuldgefühlen abgelenkt haben. Sie hindert sie aber zunehmend daran, Abschied von ihrer Ziehtochter zu nehmen. Ihre Einsamkeit, ihre Zerrissenheit und ihre Verbitterung bringt Hauptdarstellerin Heerwagen emotional glaubhaft auf den Punkt.
Langsam entlocken Odenthal und Stern auch Marie ihre Geheimnisse. Die junge Frau hatte der besten Freundin deren Freund Tom (Caspar Hoffmann) ausgespannt. Das Ende der Beziehung trieb die Tote aber offenbar in eine toxische Internetbeziehung mit einem Unbekannten. Könnte eine der beiden Liaisons hinter ihrem Schicksal stecken?
Der wie stets solide inszenierte und sich an der Ermittlungsarbeit orientierende “Tatort” konfrontiert das Team mit der Welt der Sozialen Medien und den Gefahren, die dort auf Nutzerinnen und Nutzer lauern. Peter Becker ist in seinen Dienstjahren akribisch in diese Welt eingetaucht. Doch für ihn ist im Ludwigshafener TV-Polizeidienst – wie auch für Assistentin Frau Keller – Schluss: Peter Espeloer und Annalena Schmidt nehmen Abschied vom Publikum, was diesem “Tatort” auch eine wehmütige Note gibt.