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Lieber machen statt quatschen

Nur rund ein Drittel der Patienten in Psychotherapien sind männlich. Dabei leiden Männer genauso häufig an psychischen Erkrankungen wie Frauen – nur wird das seltener diagnostiziert

S.Kobold - stock.adobe.com

Wieder war seine Ehe gescheitert. Auch seine zweite Frau trennte sich von Rainer Schmidt (Name geändert). „Ich habe keine Gefühle mehr für dich“, habe sie ihm gesagt. Doch die beiden wohnten weiter in einem Haus. Neben der einst geliebten Frau zu leben, setzte dem verlassenen Mann zu. „Als nach drei Jahren die Tür endgültig hinter ihr ins Schloss fiel, war ich am Ende“, erzählt der Berufsschullehrer. Er hatte Panikattacken, litt unter Erschöpfung, Schlaf- und Antriebslosigkeit. Sein Hausarzt in Norddeutschland erkannte die Depression und überwies ihn zum Psychotherapeuten.

Männern fällt es schwerer, über Gefühle zu reden

Das ist bei Männern als Patient keine Selbstverständlichkeit: Bundesweit ist nur rund jeder dritte Patient in der Psychotherapie männlich. Das liege auch daran, dass „die Erkrankung von Allgemeinärzten bei Männern häufiger übersehen wird“, erläutert Ulrich Hegerl, Vorsitzender der Stiftung Deutsche Depressionshilfe und Psychiater am Uniklinikum Leipzig. Männer stehen einer Psychotherapie oft kritischer gegenüber und es fällt ihnen schwerer, über Gefühle wie Ängste oder Schuldgefühle zu berichten.
Aber: „Männer haben nicht weniger, sondern andere psychische Probleme“, sagt Johannes Vennen. Der Psychotherapeut in Kiel hat sich darauf spezialisiert, männliche Patienten anzusprechen, die unter Depressionen, Burn-out, Angststörungen oder Süchten leiden. Dass Männer sich seltener als Frauen psychotherapeutisch behandeln lassen, liegt nach seiner Ansicht nicht nur an den Männern. „Wir Psychotherapeuten müssen uns selbstkritisch fragen, ob wir immer die richtige Ansprache finden.“
Ähnlich argumentiert Anne Maria Möller-Leimkühler, Professorin an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Ludwig-Maximilians-Universität München und Mitautorin der Männergesundheitsberichte 2010 und 2013. „Psychotherapeutische Verfahren sind heute eher auf weibliche als auf männliche Bedürfnisse zugeschnitten“, sagt die Sozialwissenschaftlerin. Das gelte nicht nur für Therapien für Essgestörte oder Opfer sexueller Gewalt. Selbst in der Suchttherapie, die mehrheitlich Männer betrifft, gebe es keinen männerspezifischen Ansatz.
Aus seiner Praxis weiß Johannes Vennen, dass gegenüber Männern bei manchen Themen eine besondere Sensibilität notwendig ist. „Sie reden ungern über Erektionsprobleme – oder auch darüber, wenn sie selber Opfer von Gewalt geworden sind.“ In der Therapie müssten auch der geringere Zugang zu Emotionalität und die kritischere Haltung gegenüber einer Gesprächstherapie stärker beachtet werden. „Männer wollen weniger sprechen, sondern mehr handeln“, sagt Vennen. Status, Autonomie und Selbstwertgefühl spielten eine größere Rolle als bei Frauen.
Rainer Schmidt kam auf Empfehlung des Hausarztes zu Vennen in die Praxis. „Dort habe ich mich als Mann ernst genommen gefühlt“, sagt er. Er habe gelernt, sagt er, „mich wieder selbst zu mögen“. Und sei heute wieder gelassener und konzentrierter.
„Ich gebe meinen Patienten positive Feedbacks bezüglich ihrer Leistungen und Eigenschaften“, erläutert Vennen. Zudem berücksichtige er das Interesse von Männern für Technik, indem er Smartphone-Apps und Tablet-PCs einsetze. Auch Online-Plattformen wie ifightdepression, die die Therapie unterstützen, werden integriert. Der „Handlungsorientierung“ von Männern, wie er es nennt, will er durch Rollenspiele, Fragebögen und dem gemeinsamen Erstellen von Grafiken gerecht werden.
Als „männergerecht“ haben sich nach der Erfahrung Vennens auch Achtsamkeitsübungen bewährt, in denen es darum geht, Gefühle erst einmal zuzulassen und nicht zu bewerten. „Achtsamkeit ist bei vielen Männern auch ein Therapieziel“, sagt Vennen: Sie lernen, schonender mit ihrem Körper und ihrer Seele umzugehen. Eine Technik, die sich besonders bei der Behandlung von Burn-out bewährt – zu dem sich heute mehr Männer bekennen, weil er nicht so stigmatisiert ist wie eine Depression.
Rainer Schmidt hat sich durch die Therapie erholt. Auch Rückenschmerzen, die er auf die Depression zurückführte, sind verschwunden. „Ich habe jetzt sogar mit meiner neuen Partnerin einen Tanzkurs begonnen“, sagt er lachend – mit 65 Jahren.

Internet: www.stiftung-maennergesundheit.de/start.html; www.deutsche-depressionshilfe.de; www.maennergesundheit-sh.de.