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Liebe über alle Klostermauern hinweg

Vor 875 Jahren starb Peter Abaelard. Der Philosoph und Theologe gilt als einer der Begründer der Scholastik, der einflussreichsten Denkschule an den mittelalterlichen Universitäten. Vor allem seine Liebe zu Heloise hat ihn berühmt gemacht

akg-images / Album / Mestral / P

Romeo und Julia sind das berühmteste Liebespaar der Weltliteratur. Die tragische Romanze ist Shakespeares genialem Kopf entsprungen. Anders Peter Abaelard und Heloise: Sie haben wirklich gelebt und auf dem Prominenten-Friedhof Pere Lachaise in Paris ihre letzte Ruhe gefunden. Noch heute strömen romantische Verehrer an das Grab des Traumpaares. Vor 875 Jahren, am 21. April 1142, ist Peter Abaelard in einer Außenstelle der Abtei Cluny in Burgund gestorben.
Der Philosoph und Theologe Abaelard leitete die Domschule von Notre-Dame und war ein charismatischer Lehrer für Studenten aus ganz Europa; drei Päpste stamm- ten aus seinem Schülerkreis. Heloise war Abaelards Schülerin – schön, dazu klug, gebildet und wissbegierig. Doch als Frau durfte Heloise nicht studieren. Mit List verschaffte sich Abaelard im Haus des Domherrn Fulbert, Heloises Onkel, Zugang zu seiner Angebeteten: Er ließ sich als ihr Privatlehrer engagieren.

Heloise durfte als Frau nicht studieren

Über seinen Unterricht berichtet er in seiner Lebensbeichte: „Die Bücher wurden geöffnet, aber in den Unterricht mischten sich mehr Worte der Liebe als Worte der Philosophie.“ Abaelard war ein Verfechter rationaler Erkenntnismethoden, sogar in der Theologie. Doch verliebt versagte seine Vernunft. Der Professor vernachlässigte die Lehrverpflichtungen. Er begann, Liebeslieder zu dichten und zu komponieren, die seine Studenten bald in allen Gassen trällerten.
Als Heloise schwanger wurde, konnte auch ihrem Vormund das Verhältnis nicht mehr entgehen. Abaelard entführte sie daraufhin in seine bretonische Heimat, wo Heloise einen Sohn gebar. Die Eltern nannten ihn Astralabius, in Anspielung auf ein damaliges Hightech-Instrument: das Astrolabium zur Positionsbestimmung von Sternen.

Eine Hochzeit und die Geburt des Sohnes

Abaelard suchte Versöhnung mit dem Vormund, Heloises Onkel. Die Liaison wurde mit einer Eheschließung legitimiert. Aber der Onkel hielt sich nicht an die Abmachung, dass die Verbindung mit Rücksicht auf Abaelards Klerikerkarriere geheim bleiben sollte. Abaelard brachte daraufhin seine Frau 1118 in das Benediktinerinnenkloster Argenteuil, wo sie als Waise aufgewachsen war.
Der Onkel glaubte, seine Nichte solle ins Kloster abgeschoben werden; er sann auf brutale Rache. Abaelard wurde im Schlaf überfallen und kastriert. Der Gelehrte über- lebte die Verstümmelung und trat 1119 der Pariser Abtei Saint-Denis bei, während Heloise – zunächst widerstrebend – den Nonnenschleier nahm. Dennoch konnte keiner den anderen hinter den Klostermauern vergessen.
Trotz seiner Liebe zu Heloise lebte Abaelard zunächst im Kloster. Doch dort wurde aus seiner Sicht die Regel des heiligen Benedikt vernachlässigt. Daher zog er sich in eine entlegene Einsiedelei zurück. Dem begnadeten Lehrer folgten begeisterte Schüler. Denn es gab noch keine Universitäten. Der Erfolg beunruhigte seine Gegner. Sie beharrten darauf, dass ein Mönch keine Philosophie lehren und Methoden der Logik auf Glaubensgeheimnisse anwenden dürfe.

Der Querdenker Abaelard wird verurteilt

Bernhard von Clairvaux verurteilte Abaelards „Wissensstolz“; er betrachtete ihn als „Eindringling“ in die Theologie. Und so wurde Abaelard 1121 vor eine Synode geladen. Er wurde beschuldigt, in seiner Trinitäts-Schrift „Über die göttliche Einheit und Dreiheit“ die Existenz von drei Göttern zu lehren. Der Querdenker wurde verurteilt.
Seine Studenten waren derweil von seinen aufregenden Thesen und seiner neuen Lehrweise angezogen, die wegweisend für die Scholastik wurde: keine langweilige Vorlesung, sondern akademische Disputation. Schüler vertraten im Streitgespräch gegensätzliche Positionen, über die abschließend der Lehrer urteilte. In seinem Lehrbuch „Ja und Nein“ hat Abaelard eine kontroverse Zitatensammlung aus Bibel und Kirchenväter-Tradition zusammengestellt.
1129 wurde Heloises Konvent aufgelöst, die Ordensfrau gründete in Abaelards ehemaliger Klause einen neuen Frauenkonvent. Abaelard suchte seine Heloise wieder auf und half ihr bei der Gründung. Zugleich belebten die beiden ihren Kontakt – der Theologe blieb seiner Frau, die ihn um 22 Jahre überlebte, zeitlebens als Ratgeber über innige Briefe verbunden. Der Kleriker hat seine erste und einzige große Liebe in der „Historia Calamitatum“, seiner Leidensgeschichte, selbst geschildert. Die Autobiographie ist wohl das ergreifendste Lebenszeugnis seit Augustinus‘ Bekenntnissen und einer der bekanntesten mittelalterlichen Texte.

Autobiographie schildert die Leidensgeschichte

Der provokante Theologe vertrat zuletzt explosive Thesen: „Gott sollte und kann Böses nicht verhindern.“ Brisant war auch seine Ansicht, dass Jesus die Apostel mit der Sündenvergebung beauftragt habe, nicht aber deren Nachfolger. Die Päpste aber fühlten sich ganz selbstverständlich als Nachfolger Petri. Und so blieb Abaelard eine zweite Lehrverurteilung nicht erspart.
Dennoch legte er Fundamente für die aufblühende Denkrichtung der Scholastik, die auch die Heiligen Albertus Magnus und Thomas von Aquin vertreten sollten. Die Denkweise von Peter Abaelard ist verblüffend modern. Für ihn gibt es „nur Sünde gegen das Gewissen“ – hier erweist er sich als ein Vordenker der Reformation.