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Lichtblick auf der Großbaustelle

„Friede auf Erden“ ist das Leitthema der 77. Krippenausstellung im münsterländischen Telgte. Über 120 Werke sind zu sehen, traditionelle Darstellungen ebenso wie Gestaltungen, die aktuelle Themen und Entwicklungen aufgreifen

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Hoch aufragende uniforme Wohnsilos – zum Teil fertiggestellt – im Hintergrund bilden die Schatten werfende Kulisse. Kalt. Unwirtlich. Abstoßend. Im Vordergrund im Lichtschein stehen zwei kleine Gebäude, wie sie für Baustellen typisch sind.
Die außergewöhnliche großformatige „Krippe in der Baustelle“ des Künstlers Rudi Bannwarth empfängt den Besucher der aktuellen, über 120 Werke umfassenden 77. Krippenausstellung im Westfälischen Museum für religiöse Kultur „Religio“ im münsterländischen Telgte. Dort ist  sie noch bis zum 28. Januar zu sehen. Die biblische Weihnachtsbotschaft „Friede auf Erden“ auf Basis des Lukasevangeliums – Thema der Schau in diesem Jahr – hat der Holzbildhauermeister aus Ettlingen in den Alltag der Menschen heute übersetzt.
In der etwas abseits platzierten Baubude im Vordergrund stehend, sind ein Ochse und ein Esel untergebracht. Das für traditionelle Krippen Typische erscheint hier buchstäblich als Fremdkörper. „Ich war fremd und ihr habt mich… abgeschoben!!“ ist auf  der aufstehenden Tür zu lesen – eine Anklage der Flüchtlingspolitik des Gegenwart. Ochse und Esel bei dem Künstler, der „seine Fähigkeiten für sozialkritische Darstellungen“ nutzt, wie es im Ausstellungskatalog heißt, werden hier zum Sinnbild für Menschen im gesellschaftlichen Abseits. Abschottung statt Eingliederung.
Maria mit dem Jesuskind vor dem  kleinen Gebäude daneben im Zen­trum der Szenerie ist dargestellt als junge Frau, die ihr in Tüchern gewickeltes Kind im Arm hält, und Josef als Bauarbeiter mit Schutzhelm. Alle drei sind beschmutzt.
Die aus traditionellen Krippenszenen bekannten Hirten, an das hier nur das zu den beiden aufblickende Schaf erinnert, sind hier ersetzt durch zufällig vorbeikommende Passanten, die neugierig stehen bleiben, aber Abstand halten. Oder hat sie der goldglänzende große Schweifstern hergelockt? Der die Weihnachtsbotschaft verkündigende Engel – hier etwas ratlos wirkend auf dem Dach der Baubude vor einem mit „Glaube“, „Liebe“, „Hoffnung“ beschrifteten Müllcontainer – wird es kaum gewesen sein. Ist er in seiner weißen Handwerkermontur doch erst auf den zweiten Blick als himmlischer Bote zu identifizieren.
Die Weihnachtsbotschaft, so scheint es, hat es in all den Widrigkeiten der Gegenwart schwerer, sich Gehör zu verschaffen. Und dennoch ist die mit ihr verbundene Hoffnung „Friede auf Erden“ auch in dieser Krippendarstellung spürbar: „Gott wird Mensch inmitten der Armut dieser Welt. Inmitten der Baustelle unseres Lebens. Mitten in meinem Leben…“, formuliert die Karlsruher katholische Patoralreferentin Antke Wollersen in ihrer Meditation zu dem Werk von Rudi Bannwarth.
Die umwandelnde Kraft dieser Botschaft findet ihren wohl stärksten Ausdruck in der Arbeit „10 000 Schuss“ von Leonie Große aus Everswinkel. Ihre drei Plastiken zählen die Ausstellungsmacher zu den außergewöhnlichsten Werken der diesjährigen Schau. Reduziert einzig auf die „heilige Familie“, hat die Künstlerin und Grafikerin ihre bis zu 80 Zentimeter großen Figuren aus Tausenden Patronenhülsen unterschiedlicher Größe und Farbe gefertigt.
„Patronen als Inbegriff des Krieges wurden in ein Bild des Friedens umgewandelt“, erläutert Museumsleiterin Anja Schöne. Ihre Herkunft sind nicht etwa Kriegsgebiete, wie man vermuten könnte. Vielmehr stammen sie nach ihrer Aussage von Tontauben-Schießständen.
Neben ausdrucksstarken politischen Statements trifft der Ausstellungsbesucher aber auch auf viele traditionelle Krippenarbeiten. Darunter fällt die künstlerische Umsetzung des Themas der Krippenschau von Marek Adam Kawiecki aus Herford auf. Besonders daran ist, dass der aus der Region Ermland (in der polnischen Woiwodschaft Ermland-Masuren) gebürtige Künstler die Szenen des Geburtsgeschehens auf den vier Seiten eines Holzblocks – darum „Blockkrippe“ genannt – darstellt. Die Vorderseite mit der „heiligen Familie“, der Taube des Heiligen Geistes und dem Schweifstern sowie einer weiteren, davonfliegenden Taube, die als Friedenstaube zu verstehen ist, ist als Relief aus dem Lindenholz geschnitzt und mit kräftig-leuchtenden Acrylfaben bemalt.
Die Verbindung von traditionellen und modernen Krippen in ihrer Vielfalt zu zeigen, ist das Anliegen auch dieser 77. Schau im Telgter Museum, die „besinnlich und zum Nachdenken anregend“ sein will, wie es in der Ankündigung heißt. Dabei wird verschiedentlich die weltumspannende Dimension der Weihnachtsbotschaft plastisch deutlich.
Als ein Beispiel dafür steht die im Textilunterricht entstandene Schülerarbeit „Mahn mal ,Friede auf Erden‘“ der Sekundarschule Telgte. Es ist eine Installation aus recycelten Schuhen, welche die Völkergemeinschaft repräsentieren, die eine aus Pappmaché gebildete blaue Erdkugel mit ihren fünf einheitlich grün wiedergegebenen Kontinenten umringen. Das auf einer Schärpe in großen bunten Lettern zu lesende „Friede auf Erden“ ist eine Mahnung, das Wirklichkeit werden zu lassen. Krönung der Erdkugel und Ausdruck der Hoffnung ist die biblische Geburtsszene.
In diese Richtung weisen auch Krippendarstellungen, wie die der von Agnes Schneider aus Telgte, die ihre Arbeit „Versöhnung“ nennt. Oder das gerahmte Wandbild, das eine von zwei Händen gehaltene Erdkugel im Weltall zeigt. Sein Schöpfer, der Künstler Willi Wienstroer aus Warendorf, schreibt dazu: „Mit der Hilfe und der Gnade Gottes sowie der Einsicht aller Menschen und deren Religionen kann Frieden auf der Erde sein.“
Wie dieser Frieden aussehen könnte, hält die Gemeinschaftsarbeit der Künstlerin Katharina Ronge vom Kreiskunstverein Beckum-Warendorf und zweier Geflüchteter mit dem Titel „Migration als Geburtsstätte für Frieden“ fest. Das Tischmodell kann verstanden werden als ein versöhnlicher Brückenschlag in die Gegenwart mit einer hoffnungsvollen Zukunftsperspektive auf ein friedliches Zusammenleben der drei Religionen Judentum, Christentum und Islam – sichtbar gemacht durch kleine Modelle ihrer Gotteshäuser in drei der vier Ecken – und darüber hinaus aller Menschen. Die Geburtsstätte, der Stall, in der vierten Ecke ist verlassen von der „heiligen Familie“. Sie bildet das Zentrum des Tischmodells, mit dem ausgesagt werden soll: „Ein friedliches Zusammenleben aller Menschen weltweit ist möglich.“
Davorstehend macht Museumsleiterin Schöne auf ein Detail aufmerksam, das bei oberflächlicher Betrachtung schnell aus dem Blick gerät: „Alle Figuren sind einander zugewandt aufgestellt, gehen aufein­ander zu.“ Es ist ein friedliches, harmonisches Bild, das die Gemeinschaftsarbeit zeigt. Keine Baustelle ist darauf zu sehen, die noch zu beseitigen wäre.
„Friede auf Erden“. Wirklichkeit gewordene biblische Weihnachtsbotschaft. Bisher leider nur im Modell.

• Die 77. Krippenausstellung im Westfälischen Museum für religiöse Kultur „Religio“ in Telgte ist noch bis zum 28. Januar zu sehen. Öffnungszeiten: täglich (außer montags) von 11 bis 18 Uhr, am 25. Dezember und Neujahr von 14 bis 18 Uhr, am 24. und 31. Dezember geschlossen. Internet: www.museum-religio.de.

•Katalog zur Ausstellung: „Friede auf Erden“. 77. Krippenausstellung, 120 Seiten, 10 Euro.

• Die nächsten öffentlichen Führungen sind an den Sonntagen 10. Dezember, 17. Dezember und 14. Januar, jeweils um 15 Uhr.