Wird der blutige Messeranschlag von Mannheim zum Weckruf gegen den Islamismus? Oder geht die Politik bald wieder zur Tagesordnung über? Kritische Muslime, die selbst bedroht werden, haben wenig Hoffnung.
Liberale Muslime werfen der Politik in Deutschland eine systematische Verharmlosung gewaltbereiter Islamisten vor. “Die Gesellschaft – aber vor allem unsere Regierenden – leugnen wider besseres Wissen, wie viele aggressive Islamisten im Land leben. Unsere offene Gesellschaft ist ernsthaft bedroht und hat sich schon negativ gewandelt”, sagte die Autorin und Frauenrechtlerin Seyran Ates der “Neuen Zürcher Zeitung” (NZZ, Freitag).
Der Vorwurf aus dem linken Spektrum, dass Rechte nun den Messerangriff von Mannheim instrumentalisierten, sei schockierend, so Ates, die wegen ihrer Kritik an der Intoleranz und Frauenfeindlichkeit vieler Muslime seit Jahren unter Polizeischutz steht. “Dabei werden [die Anschläge von] Solingen und Hanau seit Jahren von linken Politikern ausgeschlachtet, um gegen rechte Politik Stimmung zu machen.” Die Ungleichbehandlung des Party-Skandals von Sylt und der tödlichen Messerattacke von Mannheim sei eine Frechheit. “In Mannheim ist ein Mensch ermordet worden.”
Der Politologe und Publizist Hamed Abdel-Samad sagte der Zeitung, die politische Elite habe das Problem des Islamismus aus der Tagesordnung verbannt. “Ich glaube Politikern kein Wort mehr. Ich habe so oft gehört, dass etwas nicht geduldet werden kann – und dann duldet man es doch.” Nach dem Anschlag am Berliner Breitscheidplatz und den sexuellen Übergriffen auf Frauen in der Kölner Silvesternacht 2015 sei nichts für die öffentliche Sicherheit getan worden, so Abdel-Samad, der wegen seiner Islamkritik ebenfalls seit Jahren unter Polizeischutz steht. “Stattdessen steigt die Zahl der Gruppenvergewaltigungen.” Die Bevölkerung dürfe sich nicht mehr mit Lippenbekenntnissen begnügen.
Der Psychologe und Autor Ahmad Mansour warnte gegenüber der NZZ vor einem wachsenden Selbstbewusstsein von Islamisten. “Ich finde es beschämend, dass ‘wir’ Angst haben müssen und nicht unsere Gegner. Die sind mittlerweile so selbstbewusst geworden, dass sie überhaupt kein Problem damit haben, uns zu beschimpfen, zu diffamieren, fertigzumachen und uns auf offener Straße zu bedrohen.” Auch Mansour wird wegen seiner Positionen aus der islamistischen Szene massiv bedroht und lebt unter Polizeischutz.
Die Wissenschaftlerin Susanne Schröter sagte, es bedürfe heute nicht viel, um ins Visier von mordbereiten Fanatikern zu geraten. “In einem Land, in dem Religionskritik zum guten Ton gehört und ganze Satiremagazine von respektlosen Darstellungen christlicher Würdenträger leben, wagt schon jetzt kaum noch jemand, den Islam zu kritisieren.” Davon seien auch modern lebende Muslime betroffen, so die Leiterin des Forschungszentrums Globaler Islam der Universität Frankfurt.