Es sollten Tage der Einkehr sein, doch sie endeten schockierend. Während die Hamas Israel angriff, befand sich Jan Philipp Weber gerade in der Negev-Wüste nahe der Stadt Eilat. Mit 24 weiteren Teilnehmern eines christlichen Studienprogramms war er auf einer mehrtägigen Wanderung. In der Bibel ist die Wüste oft ein Ort der Gottesbegegnungen. Und so ließen sich auch die Studenten am vergangenen Samstag auf einen spirituellen Tag ein. Jeder von ihnen verbrachte die Zeit allein in der Stille der Wüste, manche nur mit einer Bibel ausgestattet.
„Viele von uns hatten gar kein Handy dabei“, berichtet der Theologiestudent aus Vaihingen an der Enz. „Als wir wieder zusammenkamen, wussten wir gar nicht, wie wir mit den Angriffen umgehen sollen. Wir mussten erst einmal Handyempfang suchen, um mehr zu erfahren.“ Schnell konsultierten sie das Auswärtige Amt und den Deutschen Akademischen Austauschdienst. Beide Institutionen rieten dazu, in der Wüste zu bleiben. Ganz im Süden Israels, weitab von den Einschlägen der Hamas-Raketen.
„Es war surreal, weil wir im Kriegsland waren, aber absolut nichts mitbekamen“, meint Weber. Nur ihre israelischen Wüstenführer seien direkt betroffen gewesen, da deren Söhne kurzerhand in den Krieg eingezogen wurden. „Es war auch für uns als Gruppe eine Herausforderung“, so der 27-Jährige weiter. Man habe sehr unterschiedlich auf die Krise reagiert, sich aber gegenseitig gut zu helfen gewusst. Am Dienstag kehrten sie dann in ihre Jerusalemer Unterkunft zurück. Auch hier verhalten sich die Leute unterschiedlich, weiß Weber. „Während wir Studenten bei Sirenen den Bunker aufsuchen, steigen manche Einheimischen aufs Dach, um das Raketenabwehrsystem zu sehen.“
„Wir haben einen Pflegebunker und einen Mitarbeiterbunker“, erklärt Noemi Sautter. Sie arbeitet für ein Jahr freiwillig im Pflegeheim „Beth Elieser“ in Maalot, einer Stadt im Norden Israels. Dort verbringen Holocaust-Überlebende ihre letzten Lebenstage. „Ich finde das richtig schlimm“, sagt sie zum Antisemitismus, der anlässlich des Krieges auch in Europa neu ausbricht. „Mir sind die Leute hier bewusst vor Augen, den ganzen Tag. Ich sehe, was dieser Hass anrichten kann.“ Leider beobachte sie, dass die Holocaust-Generation angesichts vieler neuer Krisen in Vergessenheit gerate.
„Letzte Nacht haben wir im Bunker übernachtet“, fährt Sautter fort. Eng sei es gewesen, aber gut auszuhalten. Erst am Morgen war klar, dass es sich bei der Warnung um einen Fehlalarm handelte. Zu diesem Zeitpunkt seien jedoch drei andere Freiwillige schon wieder abgereist. „Die konnten kurzfristig noch einen Flug ergattern, mitten in der Nacht“, erzählt die 20-Jährige, „und haben dann auch gleich ihre Sachen gepackt.“ Jeder verstehe diese Entscheidung. Trotzdem sei der Abschied hochemotional gewesen. Und natürlich vermisse auch sie jetzt ihre Heimat in Kirchberg an der Murr. „Aber ich hatte voll auf dem Herzen zu bleiben. Und ich hatte das Gefühl, dass Gott mich hier haben wollte. Hier kann ich etwas tun. Hier bin ich auch unter anderen, die dasselbe durchmachen.“
Zur Wahrheit gehöre aber auch, dass sich nicht jeder so „verbarrikadiert“. So sehe sie aus dem Fenster etwa Baustellen in Maalot, die ganz normal weiterlaufen, „so als wäre nichts“. Würden die Israelis jetzt ihren ganzen Alltag einstellen, hätte die Hamas ja auch bereits ein Ziel erreicht. (2439/13.10.2023)