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Lenbachhaus zeigt Schau zu Surrealismus und Antifaschismus

Seit 100 Jahren gibt es den Surrealismus in der Kunst. Diesem Jubiläum widmet sich zurzeit das Münchner Lenbachhaus. Dabei wird nicht nur zurückgeblickt.

Nicht gerade optimistisch klingt der Titel: “Aber hier leben? Nein danke.” So heißt die neue Sonderausstellung im Kunstbau des Münchner Lenbachhauses. Die bereits eröffnete Schau thematisiert bis 2. März 2025, so der Untertitel, “Surrealismus + Antifaschismus”. Sie betrachtet die Kunstrichtung im Zusammenhang mit dem politischen Geschehen jener Zeit. In politisch so unruhigen Zeiten wie diesen muss die Aktualität nicht extra erklärt werden, wie Direktor Matthias Mühling bei der Eröffnung betonte.

Die erste surrealistische Gruppe entstand im Paris der 1920er-Jahre um den Dichter Andre Breton. Von Anfang an wollten die Surrealisten – hauptsächlich Literaten und Künstler – das Leben und die Gesellschaft grundlegend verändern. Nicht zuletzt aufgrund ihrer Erfahrungen aus dem Ersten Weltkrieg. Die Sinnlosigkeit und Brutalität des Kriegs ließ sie an der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft zweifeln. Dagegen setzten sie auf das Unbewusste, auf Zufall, Spontaneität und den Traum, womit das zweckgebundene Denken ausgehebelt werden sollte.

In ihrer Kunst bestanden die Surrealisten auf einer absoluten Freiheit, die den Rest der Gesellschaft anstecken sollte. Darunter verstanden sie ein Zusammenleben, das nicht von Lohnarbeit bestimmt wird und in dem es größere gemeinsame Ziele als Profit oder Nation geben sollte. Sie kritisierten die Verkümmerung der Vorstellungskraft in einer Gesellschaft, die die Kunst und Poesie als exzentrisch ansah.

In ihren Gemälden verbanden sie scheinbare Gegensätze wie Vorder- und Hintergrund, Nähe und Distanz, Volumen, Fläche und Hohlraum, Vogelperspektive und Frontalansicht miteinander. Paradebeispiele für die surrealistisch-politische Kunst sind zweifellos John Heartfields Antifaschismus-Plakate. Eines zeigt einen “Weihnachtsbaum für Hitlers Getreue”: Die kahlen Zweige eines Nadelbaums sind hakenkreuzförmig verbogen und statt Weihnachtskugeln und Lametta hängen Gewehrpatronen, Gestapo-Zettel und ein Hackebeil an den dürren Ästen.

Das berühmteste Werk aus jener Zeit ist sicher Picassos “Guernica”, das er der gleichnamigen Stadt widmete, die 1937 durch deutsche und italienische Luftangriffe zerstört worden war. Gezeigt wurde das Riesengemälde erstmals im Spanischen Pavillon auf der Weltausstellung im gleichen Jahr in Paris. Ein Modell dieses Pavillons mit seiner modernen und offenen Architektur ist auch in der Ausstellung zu sehen.

Seit die Nationalsozialisten 1933 in Deutschland die Macht übernommen hatten, verfolgte ihre Kunstpolitik eine radikale Abwehr von der Moderne und erklärte diese als degeneriert. Diffamiert und verfolgt wurden vor allem jüdische und linke Kunstschaffende, die zum Teil bereits emigriert waren. Surrealistische Kunst gab es deshalb in Deutschland damals nicht, sie war fast nur im Exil möglich und auch dort oft unter erschwerten Bedingungen.

Manche Surrealisten blieben etwa auch im besetzten Frankreich, versteckten sich gegenseitig in Privatwohnungen in Paris und im Süden, fälschten Papiere und verdienten Geld mit Gemäldekopien. Sie entwarfen surrealistische Flugblätter, die sie heimlich als “Papier-Geschosse” auf Kirchenbänken, in Telefonbüchern oder zwischen Klopapierrollen hinterließen. Sie verstanden sich als politische Widerständler – die dafür oft einen hohen Preis zahlten: Viele verloren im antifaschistischen Kampf ihr Leben, andere wurden deportiert und ermordet.

Allein daran schon lässt sich erkennen, wie vielfältig – und aktuell – der Surrealismus bis heute ist. Auch die 68er-Proteste und der antirassistische Kampf der “Black Power”-Bewegung griffen auf ihn als künstlerisches Mittel zurück. Dem entspricht das Konzept der Ausstellung: Statt die Entwicklung und Verbreitung des Surrealismus chronologisch zu nachzuerzählen, ist die Überfülle des Materials (von kleinsten Gegenständen bis hin zu Monumentalgemälden) in thematische Episoden-Kapitel eingeteilt. Und eines zeigt diese Ausstellung ebenfalls: Die Geschichte des Surrealismus ist noch lange nicht zu Ende erzählt.