Das Erste feiert im Paulinum in Leipzig seinen Weihnachtsfilm über Johann Sebastian Bach – und hofft auf das Weihnachtswunder, dass er mindestens so erfolgreich wie “Drei Haselnüsse für Aschenbrödel” wird.
Der Originalschauplatz ist gut gewählt, auch wenn er kaum etwas mit dem Original gemein hat. Das hatten die DDR-Oberen 1968 schnöde abreißen lassen, um der – damals nach Karl Marx benannten – Leipziger Universität einen repräsentativen Neubau zu verpassen, noch vor dem Uni-Riesen, der bis heute die Skyline der Messestadt bestimmt. Die Pauliner-Kirche, in der Johann Sebastian Bach 1717 die neu erbaute Scheibe-Orgel abgenommen hatte und in der manche seiner Werke uraufgeführt wurden, störte da nur.
Weil die eigentliche Universitätskirche Sankt Pauli also hin ist, trifft sich die Festgemeinde vom MDR-Intendanten abwärts im 2017 fertiggestellten Paulinum, das heute als Aula und Universitätskirche der Alma Mater Lipsiensis fungiert. Und das neben sakralbaulichen Anklängen und einigen geretteten Ausstattungsstücken der Pauliner-Kirche etwas bis heute für Bach höchst Wichtiges besitzt – eine Orgel.
Heute ist hier zwar kein Gottesdienst, dafür aber ein ARD-Hochamt. Der Senderverbund stellt seinen Event-Film “Bach – ein Weihnachtswunder” mit Crew und Cast dem Leipziger Publikum vor. Der Mitteldeutsche Rundfunk ist als mitproduzierender Sender in Mannschaftsstärke angetreten und spendiert dazu noch seinen wunderbaren Kinderchor, der das Ganze musikalisch umrahmt. MDR-Intendant Ralf Ludwig spricht artige Worte und freut sich, dass auch die echten Thomaner am Premierenabend da sind, schließlich spielen sie auch im Film mit. Und zwar sich selbst, bloß exakt 290 Jahre früher.
Am ersten Weihnachtstag 1734 ist Bachs Weihnachtsoratorium uraufgeführt worden. Doch weil Degeto-Chef Thomas Schreiber (65) und MDR-Programmdirektorin Jana Brandt (59) keinen Rentner-Film machen wollten und Bach-Darsteller Devid Striesow auch schon 51 ist, mochte die ARD keine weiteren zehn Jahre bis zum runden Geburtstag warten. Zumal fraglich ist, ob dann noch genug Geld für die sichtbar aufwändige Produktion da wäre.
Entstanden ist die Idee zum Film um Bach, seine Bachin und die vielen später ebenfalls in die Musikgeschichte eingehenden Söhne bei der Beschäftigung mit einer anderen protestantischen Großfamilie: 2017 lief der ebenfalls vom MDR produzierte Film “Katharina Luther”, in dem Striesow den Reformator im besten Sinne verkörperte. “Katharina Luther”-Drehbuchautor Christian Schnalke zeichnet nun auch für den Bach verantwortlich, Moderator Knut Elstermann erinnert noch daran, dass in der DDR Ulrich Thein auch mal Bach und Luther gespielt hatte – und dann geht der Film los.
Dass die Eingangssequenzen optisch wie musikalisch an “Drei Haselnüsse für Aschenbrödel” erinnern, ergibt Sinn. Schließlich will die ARD mit Bachs Weihnachtsmärchen zum bis heute unangefochtenen Weihnachtsklassiker aufschließen – mindestens. Und Karel Svoboda hat sich bei seiner Musik eh bei Bach bedient. Im Film sind die Rollen klar verteilt: Gute Männer, böse Männer – allen voran Bachs Gegenspieler im Stadtrat, Adrian Stieglitz, den Thorsten Merten mit behutsamer Cholerik dem bollernden Striesow-Bach entgegensetzt. Und die Frauen, die das Geschehen wenn schon wie in “Katharina Luther” nicht komplett bestimmen, aber klar machen: Ohne sie liefe hier gar nichts. Niente. Nada.
Lotta Herzog macht als kesse Göhre Elisabeth Bach den Film einwandfrei oma- und opa-tauglich. Und Verena Altenberger verkörpert Anna Magdalena Bach mit so entschlossenem wie zwischenzeitlich höchst verzweifeltem Hinreiz – aber als aufgeklärtes ARD-Publikum weiß man beruhigenderweise ja, dass das Kind gesund zur Welt kommt, das Weihnachtsoratorium fertig wird und auch der böse Stieglitz die Aufführung nicht verhindern konnte.
Wenn dann das “Jauchzet, frohlocket” erklingt, bleibt zumindest cinematografisch kein Auge trocken und Elstermann kann – vergesst “Sissi”! – gleich noch das neue “deutsch-österreichische Traumpaar” Altenberger/Striesow ausrufen.
Beim anschließenden Filmgespräch sind alle sehr ehrlich, “so was kann man nur einmal spielen”, sagt Striesow. Thorsten Merten ist glücklich, weil er “seit 20 Jahren darauf wartet, dass ich mal die böse Hexe im Weihnachtsmärchen geben darf und hier hat’s komischerweise geklappt”. Und Altenberger erklärt auf die Frage, warum sich Anna Magdalena so zurücknimmt und eine eigene Karriere als Sängerin für ihren Bach aufgibt: “Künstlerisch würde ich sagen, weil sie erkannt hat, dass es seine Kunst ist, die die Jahrhunderte überdauert”, aber in der banalen Realität des 18. Jahrhunderts “hat es schlicht daran gelegen, dass sie zu viele Kinder bekommen hat”. Da sei nun mal “seelisch wie körperlich eine große Verwandtheit” zwischen Herrn und Frau Bach zu spüren gewesen, sekundiert Striesow.
Dass sie bei “der Geburt eines neuen Weihnachtsklassikers” (Elstermann) dabei waren, steckt dem Leipziger Publikum noch so in den Knochen, dass es nur spärliche Fragen aus dem Auditorium gibt, weshalb es am Schluss für alle drei Strophen “O du Fröhliche” reicht. Und der “Stellvertreter Bachs auf Erden”, zu dem der Moderator Striesow kurzerhand erhebt, singt aus vollem Halse mit.