An den Schulen in Nordrhein-Westfalen fühlt sich die große Mehrheit der Lehrerinnen und Lehrer überlastet. In einer am Donnerstag in Düsseldorf vorgestellten Umfrage der Bildungsgewerkschaft GEW unter rund 24.000 Lehrkräften aller Schulen gaben 92 Prozent der Befragten den Grad ihrer Belastung auf einer Skala von 0 bis 10 mit der Stufe 7 und höher an. Schulministerin Dorothee Feller (CDU) räumte ein, die Herausforderungen an den Schulen seien ihr „sehr bewusst“. Die Landesregierung arbeite „Schritt für Schritt“ daran, die Situation zu verbessern.
Die GEW-Landesvorsitzende Ayla Çelik sagte, die Ergebnisse zeigten, „dass der eklatante Lehrkräftemangel für die Kolleginnen und Kollegen vor Ort eine immense Belastung bedeutet“. Die Beschäftigten seien am Limit, weil immer mehr Arbeit von wenigen geschultert werden müsse. Als Folge gehe die Arbeitsquantität zunehmend zulasten der Qualität. „Die Lehrkräfte, die in dieser Mangelsituation über ihre Belastungsgrenzen hinausgehen, um Bildung für unsere Kinder sicherzustellen, müssen erkennen, dass sie trotzdem ihrer Bildungs- und Erziehungsarbeit nicht gerecht werden können“, erklärte sie.
Die Situation verschärfe sich, weil immer mehr Lehrkräfte ihren Job wegen der Unzufriedenheit mit den Arbeitsbedingungen kündigen, warnte die GEW. Allein im Vorjahr quittierten 930 Lehrkräfte im bevölkerungsreichsten Bundesland ihr Dienstverhältnis – 130 mehr als 2022. „Die schlechten Arbeitsbedingungen, die Überlastung und das Gefühl, dass ihre Not bei den politischen Verantwortlichen kein Gehör findet, treibt Lehrkräfte aus dem Beruf“, warnte Çelik. Das Vertrauen, dass die Situation besser werde, gehe zunehmend verloren. Angesichts der rund 7.000 fehlenden Lehrkräfte müsse dieser Trend „endlich durchbrochen“ werden.
Ministerin Feller erklärte, der Lehrkräftemangel sei ein großes Problem, das „nicht von heute auf morgen entstanden und leider genauso wenig von heute auf morgen zu beheben“ sei. Sie verwies auf verschiedene Ansätze, mit denen das Land gegensteuere. Dabei nannte sie etwa das Ende 2022 vorgelegte Handlungskonzept Unterrichtsversorgung. Seitdem sei es gelungen, mehr als 5.000 Menschen zusätzlich für die Arbeit in den Schulen zu gewinnen. „Die Richtung stimmt, aber wir sind noch lange nicht am Ziel“, sagte Feller. Durch neu eingerichtete Studienplätze sollten langfristig mehr Lehrkräfte für Grundschulen ausgebildet werden. Zudem habe man gerade ein neues Dialogformat für Schulleitungen, Lehrkräfte und Eltern gestartet, das in den kommenden Wochen und Monaten intensiviert werde.
Die Landesregierung könne sich teure Werbekampagnen sparen, wenn sie es nicht schaffe, die Beschäftigten zu halten, kritisierte Çelik. Notwendig sei jetzt, die Lehrkräfteausbildung aufzustocken und dafür zu sorgen, dass die Lehrerinnen und Lehrer im Job zufrieden blieben: „Die beste Werbung bleiben gute Arbeitsbedingungen.“ Rund 40 Prozent der Befragten forderten eine Absenkung der Arbeitszeit. Eine Entlastung sei möglich, wenn beispielsweise Verwaltungsaufgaben und die Planung von Schulreisen von neu einzustellenden Fachkräften erledigt würden.
An der Umfrage im Herbst 2023 beteiligten sich Lehrkräfte aller Schulformen. Sie kann damit laut GEW als repräsentativ gelten. Nur die Grundschule sei mit 35 Prozent Anteil leicht überrepräsentiert. Mehr als 60 Prozent der Befragten waren nicht Mitglied der GEW.
Die SPD-Fraktion im Düsseldorfer Landtag warf nach den Umfrageergebnissen der Landesregierung Versäumnisse vor. Die schulpolitische Sprecherin, Dilek Engin, sprach von einer „weiteren Hiobsbotschaft zur Bildungskatastrophe in NRW“. Die Umfrage sei ein Signal, das nicht weiter ignoriert werden dürfe. Schon jetzt fielen als Folge des Lehrkräftemangels jede Woche rund 180.000 Unterrichtsstunden aus. Passiert sei in den vergangenen Jahren aber nichts: Die schwarz-grüne Koalition habe keine Idee, wie sie den Beruf der Lehrkraft attraktiver machen wolle.