Die prallen Früchte sehen genauso echt aus wie die kleinen Fliegen, die sich darauf niedergelassen haben. Wegen ihrer meisterhaften Lebensechtheit waren die Stillleben der niederländischen Barock-Malerin Rachel Ruysch (1664-1750) heiß begehrt. Tausend Gulden habe die Künstlerin für ihre Gemälde erzielen können, weiß die Kunsthistorikerin Susanne Blöcker. Rachel Ruyschs berühmter Zeitgenosse und Landsmann Rembrandt (1606-1669) konnte von solchen Preisen nur träumen. Seine Bilder seien in der Regel für „nur“ 250 Gulden weggegangen, sagt Blöcker.
Doch warum ist Rembrandt heute ein Pop-Star der Kunstgeschichte, während Rachel Ruysch lediglich Expertinnen und Experten ein Begriff sein dürfte? Verantwortlich dafür sei die Kunstgeschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts, erklärt Blöcker, Kuratorin der Ausstellung „Maestras. Malerinnen 1500-1900“, die seit Sonntag im Arp Museum zu sehen ist. Zu dieser Zeit sei die Kunstgeschichtsschreibung entstanden und habe Rembrandt und andere Maler des Barock wiederentdeckt. Die Leistung der Frauen in der Kunst hätten die Kunsthistoriker dabei allerdings außer Acht gelassen.
Denn die Rolle von Frauen sah die Gesellschaft des 19. Jahrhunderts infolge der Aufklärung und unter dem Einfluss des französischen Philosophen Jean-Jacques Rousseau (1712-1778) als Mutter am heimischen Herd. Künstlerische Leistungen passten nicht in dieses Bild. So kam es etwa, dass die Gemälde der Malerin Judith Leyster (1609-1640) lange Zeit als Werke ihres berühmten Lehrers Frans Hals (1585-1666) gegolten hätten, sagt Blöcker.
Rachel Ruysch, Judith Leyster und zahlreiche andere Meisterinnen waren lange Zeit aus dem Blickfeld der Kunstgeschichtsschreibung verschwunden und lagen vergessen in den Museumsdepots. Das ändere sich derzeit, beobachtet die Direktorin des Arp Museums, Julia Wallner. „Viele Malerinnen, die in ihrer Zeit anerkannte Künstlerinnen waren, werden gerade neu entdeckt.“
So auch im Arp Museum, das in Kooperation mit dem Thyssen-Bornemisza National Museum Madrid eine breit angelegte Ausstellung über Frauen in der Kunstgeschichte erarbeitete. Zu sehen sind bis zum 16. Juni insgesamt 68 Arbeiten von 51 Malerinnen. Darunter sind Öl-Gemälde, Buchmalereien, Gouachen, Aquarelle und Pastelle.
Die chronologisch aufgebaute Ausstellung beginnt mit Kunst aus dem Mittelalter, die vor allem in Klöstern produziert wurde. Beispiele sind die Zisterziensernonne und Buchmalerin Gisela von Kerssenbrock (gestorben um 1300) oder die Florentiner Nonnenmalerin Plautilla Nelli (1523-1588). Vorreiterin war Hildegard von Bingen, von der im Faksimile des „Rupertsberger Codex“ eine kunstvolle Miniaturmalerei mit der Darstellung des Weltalls zu sehen ist.
In der Barockzeit konnten sich zahlreiche Künstlerinnen erfolgreich etablieren. Sie seien zu ihrer Zeit den männlichen Kollegen gleichgestellt gewesen, sagt Blöcker. Lavinia Fontana (1552-1614) zum Beispiel schloss bei der Heirat einen Ehevertrag, der regelte, dass ihr Künstler-Gatte die Kinder betreuen und die Finanzen verwalten würde, während sie als erfolgreiche Künstlerin das Familieneinkommen verdiente.
Das 18. Jahrhundert war eine Zeit sozialer Umbrüche. Begabte Künstlerinnen hatten gute Möglichkeiten, sich in den von Frauen geführten Salons der Metropolen zu vernetzen. Viele waren sehr erfolgreich. Vor dem Atelier der Venezianerin Rosalba Carriera etwa hätten die Menschen Schlage gestanden, um sich von ihr in Pastell malen zu lassen, sagt Blöcker. Eine internationale Berühmtheit war auch die schweizerisch-österreichische Malerin Angelika Kauffmann (1741-1807), die sich in ihrem Werk den Heldinnen und Helden des Altertums widmete.
Im 19. Jahrhundert kam dann der Einbruch. Spielräume für ihre künstlerische Arbeit fanden Frauen lediglich innerhalb traditioneller Rollenklischees. Die Motive derjenigen Malerinnen, die sich trotz widriger Umstände durchsetzen konnten, konzentrieren sich auf das häusliche Umfeld. Neu ist jedoch, dass die weibliche Erlebniswelt realistisch dargestellt wird. Die Impressionistin Mary Cassatt (1844-1926) malt zum Beispiel stillende Mütter.
Die Avantgarde des frühen 20. Jahrhunderts mit dem Zentrum in Paris öffnete den Frauen wieder neue Möglichkeiten. Sophie Taeuber-Arp (1889-1943), Gabriele Münter (1877-1962) oder Sonia Delaunay (1885-1979) waren Ehefrauen berühmter Künstler, konnten sich aber auch selbst einen Namen machen. Weniger bekannt ist die Schweizer Künstlerin Alice Bailly (1872-1938), die mit einem kubo-futuristischen Gemälde teetrinkender Frauen in der Ausstellung vertreten ist. „Die Kunst ist keine Angelegenheit von Rock oder Hose“, stellte sie fest.