Von den Beschützern der Kindheit zu hilfsbedürftigen Alten: Was ist, wenn die Eltern ihr Leben nicht mehr alleine meistern können? Michael Ruffert hat mit Familientherapeutin Birgit Lambers aus Heiligenhaus bei Düsseldorf über die Herausforderungen für die mittlere Generation gesprochen – und darüber, warum man es aushalten muss, wenn die alten Eltern scheinbar unbelehrbar sind.
Was sind aus Ihrer Sicht die häufigsten Probleme, wenn sich erwachsene Kinder plötzlich um ihre gebrechlichen Eltern kümmern müssen?
Es ist zuerst oft ein kleiner Schock, wenn die Menschen im mittleren Lebensalter, die „Mid-Ager“, plötzlich feststellen, dass ihre Eltern gebrechlich werden und selber Hilfe brauchen. Schließlich waren Mutter und Vater in der Kindheit selbst die „Beschützer“. Und jetzt dreht sich die Rolle scheinbar um: Eine Lösung muss her, weil die Mutter zum Beispiel einen Oberschenkelhalsbruch hatte oder der Vater einen leichten Schlaganfall.
Aber auch, wenn die Eltern ihr Leben nicht mehr alleine meistern können, darf es einen Rollentausch nicht geben. Solange sie geistig gesund sind, haben Vater und Mutter das Recht auf einen eigenen Willen – etwa, wenn sie trotz Schwerhörigkeit ein Hörgerät ablehnen. Oder Hosen mit Flecken weiter anziehen, weil sie angeblich sauber sind. Das müssen die „Kümmerer“ aushalten.
Wie können „erwachsene Kinder“ sich um ihre Eltern kümmern, ohne sich selber zu überfordern?
Zunächst muss man sagen, dass dies eine Herausforderung ist, die es in diesem Ausmaß in keiner früheren Generation gegeben hat: Die Lebenserwartung ist stark gestiegen. Die durchschnittliche Pflegezeit liegt bei 8,2 Jahren, so eine lange Zeit können die wenigsten für ihre Eltern aufbringen und ihr eigenes Leben quasi auf Eis legen. Gerade die heutigen „Mid-Ager“ haben oft noch eigene Kinder in der Pubertät oder sind im Beruf stark eingespannt. Wichtig ist ein ganz offenes Gespräch mit den Eltern darüber, was geleistet werden kann und wo fremde Hilfe etwa durch Pflegedienste notwendig ist. Oder sogar ein Heimaufenthalt.
Wenn eine Demenz oder psychische Erkrankung vorliegt, sind kümmernde „erwachsene Kinder“ oft mit Undankbarkeit und Vorwürfen konfrontiert. Wie können sie damit umgehen?
Wenn Eltern dement werden und quasi ihre Persönlichkeit verlieren, ist das eine sehr harte Erfahrung für Kinder. Obwohl Vater oder Mutter noch genauso aussehen, sind es oft geistig nicht mehr die gleichen Menschen, mit denen man aufgewachsen ist. Pflegende werden dann mitunter sogar mit Vorwürfen konfrontiert und etwa für fortschreitende Krankheiten verantwortlich gemacht. Da bringt es wenig, ein Gespräch zu suchen. Besser ist es, salopp gesprochen, die Ohren auf Durchzug zu stellen und erst mal fremde Hilfe einzubinden – die Stimmung kann sich bei dementen Menschen bald wieder ändern.