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Kruzifixe aus 300 Jahren

Es fing an mit der Sammelleidenschaft eines Jungen – heute ist er erwachsen und betreibt zusammen mit seiner Ehefrau ein eigenes Kreuzmuseum in der Eifel. Zu sehen sind dort über 1100 Kreuze aus der ganzen Welt

Harald Oppitz/KNA

Misstrauisch schaut Max zur Tür, späht mit seinen gelben Augen, die aus dem schwarzen Fell hervorstechen, Richtung Tür. Herein kommt Herrchen Rainer Propson mitsamt zwei Besuchern – kein Grund also für den Kater, den Neuankömmlingen besondere Aufmerksamkeit zu schenken. So bleibt er entspannt auf dem blau-weiß gepolsterten Holzstuhl liegen, wie ein stiller Wächter inmitten unzähliger Kruzifixe.

Große Vielfalt auf 200 Quadratmetern

Auf Tischen, in Kästen, an den Wänden: überall Kreuze. Große, kleine, hölzerne, blecherne, schlichte, pompöse, filigrane, grobe, traubenbehangene, selbst haarumrankte Kruzifixe, mit Christus-Corpus und ohne – schier unendlich scheint ihre Zahl. Es ist eine Herausforderung für die Augen, in dem 200 Quadratmeter großen Raum einen Fixpunkt zu finden. Traditionelle handwerklich gefertigte Kreuze aus der Eifel hängen zwischen koptischen Kreuzen aus Ägypten, neben griechisch-orthodoxen, russisch-orthodoxen und Jerusalemer Kruzifixen.
„Wir zeigen zur Zeit rund 1100 Kreuze, aber wir haben noch Hunderte auf Lager“, erzählt Propson. Allein im Außenbereich, im Hof des Museums, stehen und hängen rund 500 der Heilszeichen. Von der Straße aus gut sichtbar prangt an der Seiten-wand ein großes Kruzifix vor blauem Hintergrund; es ist die Nachbildung einer Vorlage aus dem Kloster Sankt Peter im Schwarzwald. Dort zeigt eine meterhohe traditionelle Darstellung den bekehrten römischen Soldaten Longinus an der Seite Jesu. „Dieses Longinus-Kreuz hat mir so imponiert, dass wir es hier in etwa zu 80 Prozent nachbauen“, erklärt Propson. Zu diesem Zwecke hat er Haselnussäste gesammelt und mit großer Liebe zum Detail passend geschnitten, gestrichen und zusammengenagelt.
Wie kommt ein 58-Jähriger aus dem Eifelkreis Bitburg-Prüm dazu, binnen weniger Jahre ein solches Museum der Volksfrömmigkeit aufzubauen?
Rainer Propson und seine Frau Anita, 56 Jahre alt, leben im 580-Seelen-Dorf Lünebach, einem Ort mit eigener Bäckerei, mehreren Firmen und zwei Attraktionen: dem 1972 errichteten Eifelzoo und dem noch jungen, erst 2016 eröffneten Kreuzmuseum. Doch die Leidenschaft Propsons für Kreuze reicht viel länger zurück. Angefangen hat alles im Jahr 1966, als die baufällige Lünebacher Kirche in Teilen abgerissen und neu gebaut werden musste. Als Junge, so erinnert sich der nach eigenen Worten „tief religiöse“ Mann, habe er nicht verstehen können, dass mehrere Kreuze wegkommen sollten. Propson versteckte sie also in der Scheune eines Onkels, ohne dass die Eltern das wussten. „Damit hat es angefangen – nicht aus Sammelleidenschaft, sondern weil ich überzeugter Christ bin.“
Das Museum ist keine öffentliche Einrichtung, sondern eine privat finanzierte Initiative der Eheleute, sozusagen das Hobby der Propsons. In Lünebach kauften sie Anfang des Jahrtausends ein altes Haus direkt am Prümtalradweg und bauten es 2003 um; aus einem alten Kuhstall mit Scheune wurde das „Café 1900“. Möbel, ein alter Ofen, historische Küchengeräte versprühen den Charme vergangener Zeiten – und natürlich Kruzifixe, Engel und Bilder. Das Café ist ein Nebenerwerb des kinderlosen Paares, das eine Messeagentur für Märkte und Events betreibt.
Weil sich die Sammelleidenschaft für Kreuze irgendwann herumsprach, kamen immer mehr Menschen auf die Beiden zu. 2014 überstand Rainer Propson eine Tumor-OP – und fasste in der Zeit seiner Regeneration einen Entschluss. Auf seinem Grundstück, keine 15 Meter vom Café entfernt, würde er einen Neubau errichten, um den Kreuzen eine dauerhafte und würdevolle Bleibe zu schaffen.

Hinter vielen Kreuzen verbergen sich Geschichten

Es sind keine goldenen oder mit Edelsteinen besetzten Kruzifixe, für die sich das Paar interessiert. Materiell kostbare Schätze finden sich in dem Museum kaum – vielmehr volkstümliche Kreuze, die einen hohen immateriellen Wert besitzen.
Etwa das „Aleppokreuz“: Materialwert fast bei null. Doch welch eine Geschichte verbirgt sich hinter dem unscheinbaren, völlig verformten und verbogenen Metallwerk. „Da kommen eines Sonntagabends zwei Motorradfahrer mit ihren Harleys angefahren“, erzählt Propson; „Da sagt der Mann mit dem dichtem Bart zu mir: Zu dir wollen wir!“ Breitete sich nicht ein Grinsen im Gesicht des Eifelers aus, würde man denken, zwielichtige Gestalten hätten ihn da vor ein paar Jahren heimgesucht. Doch es waren nicht etwa Gangmitglieder, sondern höchst seriöse Menschen: Zwei medizinische Helfer, die seit Ausbruch des syrischen Bürgerkriegs mehrfach für die Vereinten Nationen in Aleppo tätig waren.
„Die haben die ganzen Granatsplitter, die sie aus den Körpern Schwerverletzter herausoperiert haben, zu einem Kreuz zusammengefasst“, erzählt Anita Propson. Durch Zufall wurden die Mediziner auf das Museum aufmerksam und entschieden sich, bei einem Urlaub dort vorbeizufahren und es abzugeben. Zahlreiche Kreuzspenden erhalten die Propsons von Einzelpersonen, aber auch von Gemeinden, Kirchen und Klöstern. „Da sind mittlerweile solche Unikate drin – das ist sagenhaft.“
Es gibt individuelle Kreuze armer Moselwinzer, die im 18. Jahrhundert von Familien aus Rebstöcken gefertigt wurden, aber auch industriell produzierte Massenware von Devotionalienhändlern des 19. Jahrhunderts. Über Jahrzehnte hat sich viel Fachwissen bei Propson angesammelt. „Von jedem Kreuz kenne ich die Geschichte; ich schaue auf den Gekreuzigten und sehe anhand der Bein- oder Schädellage, was für ein Typ es ist, wo er herkommt und aus welcher Zeit er stammt.“
Auch Gottesdienste wurden schon im Museum gefeiert – auch wenn die Propsons sonst keine regelmäßigen Krichgänger sind. Verwurzelt sind sie dennoch in ihrer Heimatgemeinde. „Wir verschenken gerne Kreuze oder einen Engel an Besucher oder an ein Kinder aus dem Dorf“, sagt Anita. „Bei den Kindern sind aber auch Weihwasserkessel beliebt. Ich sage dann: Behalte ihn, und bewahre ihn in deinem Herzen.“

Das private Kreuzmuseum ist von April bis Oktober sonntags von 14 bis 18 Uhr geöffnet. Gruppen können telefonisch einen Termin vereinbaren. Eintritt ist frei, Spende wird erbeten. Adresse: Amselweg 10a in Lünebach/Eifel, Telefon (01 71) 2 07 21 19; Internet: www.cafe-1900.de.