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Kroatiens schwieriger Weg zum Einwanderungsland

Kroatisch und katholisch: Die Gesellschaft in einem unserer Lieblingsurlaubsländer war bislang recht homogen. Doch das ändert sich nach und nach – und stellt Kroaten wie Gastarbeiter vor Herausforderungen.

Gleiches Aussehen, dieselbe Kultur, die Sprache fast identisch: Bislang stammten Gastarbeiter in Kroatien fast ausschließlich aus Balka-Nachbarstaaten. Damit ist es seit einiger Zeit vorbei. Immer mehr Einwanderer in dem EU-Land kommen aus ferneren Ländern wie Nepal oder den Philippinen. Eine gewöhnungsbedürftige Situation für beide Seiten, wie Experten berichten.

Der Hotelportier aus Indien, der Essenslieferant aus Pakistan: “Das mag für Industrienationen nichts Neues sein, für Kroatien aber schon”, sagt Senada Selo Sabic, Politologin am Institut für Entwicklung und Internationale Beziehungen in Zagreb. Traditionell sei das Land selbst von Auswanderung geprägt. Auch den Anblick durchreisender Migranten kenne man als Nation an der Balkanroute gut. Das Flüchtlingslager Lipa in Bosnien-Herzegowina etwa liegt nur sieben Kilometer vor der kroatischen Grenze und wird von irregulären Migranten häufig als Sprungbrett in die EU genutzt.

Immer wieder stehen Kroatiens Grenzschützer in der Kritik, illegale Pushbacks durchzuführen. Dass das Land nun Arbeitskräften aus Asien die Türen öffnet, traf viele Kroaten unerwartet, erzählt Selo Sabic. “Deshalb unterscheiden sie heute kaum zwischen Asylsuchenden, irregulären Migranten und Menschen, die legal nach Kroatien kommen, um hier zu arbeiten.” Derzeit stammten 12 Prozent der Arbeitskräfte in Kroatien aus dem Ausland, so die Politologin.

Grund für die Entwicklung sind Kroatiens Bevölkerungsschwund und ein Arbeitskräftemangel. “Zwischen den beiden jüngsten Volkszählungen hat Kroatien zehn Prozent seiner Bevölkerung verloren”, berichtet Stanko Perica über die Lage in dem Land mit gut 3,8 Millionen Einwohnern. Der katholische Priester ist Direktor des Jesuiten-Flüchtlingsdiensts für Südosteuropa. Vor allem die Bereiche Tourismus und Gastgewerbe suchten händeringend nach Arbeitskräften. Auch im Bausektor herrsche Personalmangel, nachdem ein Erdbeben 2020 Teile der Hauptstadt zerstörte.

Doch Perica macht auch auf soziale Probleme aufmerksam, die die Zuwanderung aus Asien begleiteten. “Dieser Wandel ist nicht etwa Resultat einer wohldurchdachten Regierungspolitik, sondern eher das Wirken von Personalagenturen, deren Zahl in den vergangenen Jahren rasant angestiegen ist.” Inzwischen gebe es an die 700 solcher Recruiting-Agenturen in Kroatien. Sie vermittelten vorwiegend Arbeiter, die bereit seien, für weniger Gehalt mehr Stunden zu arbeiten als die Kroaten. Etliche der neuen Arbeitsmigranten verdienten nur zwischen 500 und 1.000 Euro pro Monat. Lokalzeitungen berichten zudem von überfüllten Wohnungen. In einem Fall teilten sich mehr als 30 Arbeiter eine 83-Quadratmeter-Wohnung in Zagreb.

Eine weitere kritische Seite des Agentur-Booms: Für viele der neuen Gastarbeiter dient Kroatien nur als Sprungbrett in die EU. Das widerstrebe den Erwartungen vieler Kroaten, erzählt Dragan Bagic, Soziologe an der Universität Zagreb. Denn demzufolge sollen sich die Asiaten nahtlos in die kroatische Gesellschaft und Kultur einfügen. “Aber diese Erwartungen sind nicht sehr realistisch; vor allem, was neue Immigranten aus Asien betrifft, die erst seit kurzem hier sind und nicht lange bleiben wollen.”

Die Verunsicherung vieler Kroaten über die Neuankömmlinge nutzt Populisten. Auch bei der jüngsten Präsidentenwahl spielte das Thema Migration eine Rolle. Einer der Kandidaten, Miro Bulj von der Rechtspartei “Die Brücke”, kündigte an, im Fall seiner Wahl die Armee an der EU-Außengrenze zu stationieren. Präsident Zoran Milanovic, der bei der Stichwahl an diesem Sonntag erneut gute Chancen auf das Amt hat, erklärte Zuwanderung im August zur “größten Herausforderung”, vor der sein Land jemals stand.

Laut dem Jesuiten und Flüchtlingshelfer Perica wird der Ton der Debatte um Migranten zunehmend radikal. Im November gab es sogar eine Angriffswelle auf Essenslieferanten in der Hafenstadt Split. Betroffen waren mindestens vier Arbeiter, unter anderem aus Nepal und Indien.

Sähen die meisten Kroaten Gastarbeiter noch als ein notwendiges Übel, kippe die Zustimmung noch schneller, wenn es um Asylsuchende und andere Migranten gehe, berichtet Perica. Laut einer aktuellen Umfrage befürwortet jeder dritte in Kroaten (34 Prozent) die Aufnahme von Asylsuchenden. “Beim Jesuitenflüchtlingsdienst versuchen wir, diese öffentliche Wahrnehmung durch unsere Projekte zu verändern”, so Perica. “Wir bringen Geflüchtete in Schulen und Pfarreien, wo sie ihre Geschichten erzählen und zu mehr Verständnis beitragen.”