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Krankgestauter Lebensquell

Was im Sauerland ein idyllisches Naherholungsziel ist und Trinkwasser bereithält, bedeutet in den Subtropen eine große Gefahr: zu riesigen Seen aufgestautes Wasser der großen Ströme. Erfahrungen aus der Partnerkirche in Südamerika

Wasser. Manchmal gibt es zu viel davon, wie im Juni, manchmal viel zu wenig. Das macht der Klimawandel, sagen wir. Viele Menschen auf der Welt haben noch immer keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Andere verlieren alles in den Fluten, weil ihr Land mit Absicht unter Wasser gesetzt wurde. Schicksal, denken manche. Existenzbedrohende Probleme mit der eigentlich Leben spendenden Gottesgabe Wasser sind nicht immer, aber oft von Menschen verursacht.

Anfang Mai brachten Menschen aus vielen Regionen der Welt Wasser aus ihrer Heimat nach Halle zum „Weite wirkt“-Festival mit. Die 18-jährige Lissy aus Paraguay, die zurzeit ein Freiwilliges Soziales Jahr in Westfalen verbringt, sagte: „Ich bringe Wasser von den Fällen von Iguazú und den gewaltigen Flüssen Paraná und Uruguay, die den Rio de La Plata bilden. Es erinnert uns an die großartige Natur, aber auch an die Verschmutzung des Wassers durch gesundheitsschädliche Pestizide. Diese werden für den großflächigen Soja-Anbau gebraucht. Es erinnert uns auch an die Ausbreitung von Krankheiten durch Milliarden von Mücken, seit die großen Flüsse aus wirtschaftlichem Interesse aufgestaut werden.“
Paraná und Uruguay bilden in Argentinien die West- und Ostgrenze der Provinzen Misiones und En­tre Rios und sind deren Lebensadern. Später vereinigen sie sich zum Río de La Plata. Der erreicht 290 Kilometer weiter in Buenos Aires das Meer. Die Mündung ist 220 Kilometer breit. Der gewaltige Paraná fließt nicht mehr frei. Er ist auf seinen 2640 Kilometern Länge fast durchgehend aufgestaut. Auch am fast 2000 Kilometer langen Uruguay gibt es viele Stauseen, weitere sind geplant. In der gesamten Paraná-Region gibt es 40 Mega-Stauseen.
In der Provinz Misiones, wo eine Kirchenpartnerschaft mit dem Kirchenkreis Halle besteht, sind die Stauseen ein bedrängendes Pro­blem. Es fällt schwer, sich das Ausmaß vorzustellen: Yacyretá nahe der Provinzhauptstadt Posadas überflutete 1600 Quadratkilometer. 40 000 Menschen sind davon betroffen. Garabí wird bald fertig sein und etwa  810 Quadratkilometer Fläche unter Wasser setzen, das geplante Corpus Christi 500 Quadratkilometer.
Was im Sauerland ein idyllisches Naherholungsziel ist und Trinkwasser bereithält, bedeutet in den Subtropen eine große Gefahr. Im stehenden Gewässer gedeihen die Larven von Stechmücken, die Krankheiten übertragen. Im Februar 2016 waren 50 Prozent der Bevölkerung in der Provinz Misiones vom gefährlichen Dengue-Fieber betroffen. Zika stellt ebenfalls ein riesiges Problem dar. Trinken kann man das Wasser nicht. Es ist mit Pestiziden aus den Papierfabriken an den Ufern und mit Glyphosat aus dem Soja-Anbau verseucht.
Während für unsere Fleischproduktion Kraftfutter aus südamerikanischer Soja importiert wird, sehen die Fischer dort hilflos dem Fischsterben zu. Es gibt wissenschaftliche Untersuchungen über die Gefahren und viele Proteste aus der Bevölkerung, 1996 sogar ein Volksbegehren mit über 90 Prozent Nein-Stimmen gegen ein weiteres Staudammprojekt.

Zerstörerische Riesen-Staudämme

Warum wird dennoch ein um das andere gigantische Projekt realisiert? In- und ausländische Konzerne verdienen immens. Den Regierungen Argentiniens, Brasiliens, Uruguays und Paraguays winkt Prestige. Den Menschen im Land versprechen sie Strom. Doch die Natur und die Bevölkerung tragen die wahren Kosten der Projekte. Tausende verloren bereits ihre Heimat und ihr Ackerland. Sie werden schlecht entschädigt und haben anderswo keine Zukunftsperspektive.
Die Evangelische Kirche am La Plata (IERP) sprach sich auf ihrer Syn­ode im Jahr 2000 klar gegen ein aktuelles Projekt aus. In Misiones übernahm sie die Führung im Kampf gegen die Riesen-Staudämme und organisierte Workshops und  Konferenzen. 2013 nahmen 2000 Menschen an einem  157 Kilometer langen Protestmarsch quer durch Misiones, von Panambí, einem geplanten Staudamm, zum bereits fertigen Yacyretá teil. An einer erneuten Umfrage im Jahr 2014 beteiligte sich ein Drittel der Gesamtbevölkerung und stimmte zu 97 Prozent mit Nein. Kürzlich fand wieder ein Gottesdienst „por los ríos libres“ (für den freien Fluss der Flüsse) statt. Auch Kirchenpräsident Carlos Duarte sprach im Gottesdienst beim „Weite wirkt“-Festival in Halle klare Worte gegen Wirtschaftsinteressen, die die Menschenrechte verletzen, und für die Bewahrung der Schöpfung seiner Heimat.

Die Autorin, Kirsten Potz, ist Pfarrerin im Amt für Mission, Ökumene und kirchliche Weltverantwortung (MÖWe).