Und dennoch gilt: Aus den Zahlen allein lässt sich nicht ableiten, ob eine kirchliche Veranstaltung fruchtbar war oder nicht. Dabei spielen so viele andere Faktoren eine Rolle – auch und vor allem solche, die nicht in unserer Verfügung stehen. Ob Menschen sich angesprochen fühlen, ob sie sich zum Fragen und Nachdenken anregen lassen oder gar neu zum Glauben ermutigt werden, liegt nicht in unserer Hand. Und es kann auch dann – manchmal sogar gerade dann! – geschehen, wenn die großen Zahlen ausbleiben.
Wie ist das Verhältnis zur katholischen Kirche momentan?
Manchen Befürchtungen im Vorfeld zum Trotz haben wir das Jubiläum der Reformation nicht in triumphierender Abgrenzung zur katholischen Kirche als den Geburtstag einer neuen Kirche gefeiert. Stattdessen haben wir bewusst – und ohne dabei unser protestantisches Profil zu verwässern – gemeinsame ökumenische Akzente gesetzt, um den gemeinsamen Grund unseres Glaubens zu betonen und auf Christus als unseren gemeinsamen Herrn hinzuweisen.
Auf dieser Grundlage haben sich die evangelischen Landeskirchen gemeinsam mit den katholischen Bistümern in NRW angesichts großer gesellschaftlicher und kirchlicher Umbrüche ausdrücklich zu einer weiteren Vertiefung der ökumenischen Zusammenarbeit verpflichtet. Ab 2018 wird es in den Schulen Nordrhein-Westfalens, mit Ausnahme des Erzbistums Köln, konfessionell kooperativen Religionsunterricht geben.
Vereinzelte Stimmen prominenter katholischer Amtsträger zeigen, dass es auf dem Weg zu mehr Gemeinsamkeit weiterhin deutliche Hürden gibt. Auch wir Evangelischen müssen uns ehrlich fragen, was wir bereit wären, um der Einheit willen aufs Spiel zu setzen. Dies wahrzunehmen und ernst zu nehmen gehört zu einem redlichen ökumenischen Miteinander. Auch und gerade nach den vielen ermutigenden Erfahrungen in diesem Jubiläumsjahr.
Es gab auch Begegnungen mit dem Papst.
Ja, die gab es. Man kann solche symbolischen Begegnungen, bei denen selbstverständlich keine weiterführenden theologischen Diskussionen stattfinden, als reine Showeffekte abtun. Oder sie als unwürdige Anbiederung schelten.
Ich habe einen Menschen getroffen, von dem echte Herzlichkeit und tiefe Frömmigkeit ausgehen. Die Begegnungen waren schlichte Zeichen eines ehrlichen Willens zur Verständigung auf beiden Seiten. Hinter diese schlichten Zeichen und diesen ehrlichen Willen kommen wir nun nicht mehr zurück, Gott sei Dank. Sie haben die Atmosphäre verändert – und zwar auf einer kirchlichen Ebene, von der es bisher immer hieß: Da bewegt sich in Sachen Ökumene nichts.
Bei allen Gemeinsamkeiten – es gibt auch immer noch Unterschiede zwischen evangelischer und katholischer Kirche. Etwa, was die Haltung zur „Ehe für alle“ angeht. Welche Rolle spielt das?
Zu unserem ökumenischen Miteinander gehört – wie gesagt – unbedingt auch die Redlichkeit. Wir sind in einigen theologischen und ethischen Fragen nicht einig. Die unvorbereitete politische Entscheidung zur „Ehe für alle“ hat auch kirchlicherseits – besonders auf evangelischer Seite – zu schnellen Aussagen verführt, die ökumenische Irritation auslösten. Doch lässt mich die Grundverständigung, die uns in diesem Jahr verstärkt aufeinander zugehen ließ, hoffen, dass wir auch über kontroverse Themen in neuer Offenheit miteinander reden können.
31. Oktober: großes Finale. Wie geht’s weiter?
Die verändernde Kraft des Evangeliums bleibt über den 31. Oktober 2017 hinaus lebensnotwendig. Ich sehe nach diesem Jubiläumsjahr keinen Schlusspunkt, sondern stelle mir einen Doppelpunkt vor. In mancher Hinsicht, da bin ich gewiss, werden die Erfahrungen der Reformationsdekade und des Reformationsjubiläums als Kraftquelle und Sprungbrett wirken für die Umsetzung neuer Ideen und für das mutige Gestalten einschneidender Veränderungen, die in Kirche und Gesellschaft anstehen.