Man rechnet einfach nicht damit, fährt mal dort hin – und staunt. Das frühere Kloster Arnsburg tief im ländlichen Hessen ist ein Füllhorn für Geschichtsinteressierte. Auch der Zweite Weltkrieg hat Spuren hinterlassen.
Sie wurden geboren in Ponarien/Ostpreußen oder in Czernowitz in der Bukowina, heute Teil der Ukraine. Sie starben im Exil in Locarno, in Nizza oder Bellinzona. Und sie wurden bestattet in Lich in der hessischen Wetterau. Der romantische einstige Mönchsfriedhof im Schatten der über 750 Jahre alten Klosterruinen der Zisterzienserabtei Arnsburg ist heute ein Who is who, ein Stelldichein des europäischen Hochadels.
Sie waren Grafen zu Dohna-Schlobitten, gräfliche K.u.K. Großgrundbesitzer Wassilko von Serecki oder auch Herzogin zu Mecklenburg, wie Woizlawa-Feodora Prinzessin Reuß (1918-2019). Ihnen gemeinsam war die Vertreibung im Zweiten Weltkrieg, ebenso wie die Hochadels-Freundschaft zum Haus Solms-Laubach, einem Zweig des weitverzweigten, uralten Adelsgeschlechts Solms, das die umfänglichen Klostergebäude und Anwesen 1803 nach der Aufhebung übernahm und bis heute bewohnt.
Eigentum schafft auch Verantwortung für die Gemeinschaft – und so gewährte das Haus Solms nicht nur exilierten Mit-Adligen Obdach im Tode, sondern auch anderen Opfern jenes blutigsten aller Kriege, der das Gesicht Europas so nachhaltig verändert hat. Seit 1960 beherbergt der einstige Kreuzgang des Klosters einen sehr eindrücklichen Kriegsopferfriedhof, der zu seiner Entstehungszeit ein echtes Novum darstellte.
Denn: Hier liegt “ein unbekannter Russe” einträchtig neben einem namentlich benannten deutschen Unteroffizier und einem Polen; nicht weit entfernt ausländische Zwangsarbeiter sowie eine große Gruppe von Zivilisten, die noch unmittelbar vor Kriegsende von abziehenden NS-Soldaten erschossen wurden. Von Beginn an war das Schicksal des Klosters eng mit dem lokalen Adel verknüpft. Adlige Stiftung, wurde Arnsburg 1174 vom Zisterzienserkloster Eberbach im Rheingau aus gegründet.
Die ursprünglich radikal armen Zisterzienser erhielten bereits mit der Gründung in Arnsburg eine umfangreiche Dotation von 710 Morgen Land, weit verstreut bis nach Mainz und Frankfurt. Am Ende des 14. Jahrhunderts bezog das Kloster, auch dank weiterer Stiftungen und eigener wirtschaftlicher Tüchtigkeit, Einnahmen aus 270 Orten. Dazu besaß es eigene Höfe in acht hessischen Städten, wo es seine landwirtschaftlichen Produkte vermarktete.
Schon seit der Reformationszeit allerdings mischten sich, eher ungewöhnlich, die Solmser Grafen in die Finanzverwaltung und sogar in die Lebensführung von Abt und Mönchen ein. So versuchte die Linie Solms-Lich lange Zeit, das Kloster lutherisch zu machen – was einen erbitterten Konflikt mit dem Erzbistum Mainz zur Folge hatte. Den letzten Zuschlag erhielten mit der Aufhebung der Abtei 1803 die Nachfolger der Stifterfamilie, die Grafen zu Solms-Laubach.
Bis 1811 wurde ein Teil der weitläufigen Klosteranlage als Zucht-, Arbeits- und Irrenhaus genutzt, danach ein Teil der Gebäude auf Abbruch verkauft. Mitte des 19. Jahrhunderts gab es hier ein Haus für verwahrloste Mädchen, nach dem Zweiten Weltkrieg ein Kinder- und ein Seniorenheim. Der frühgotische Kapitelsaal wurde als Schafstall missbraucht, und noch bis in die 1950er Jahre diente der fast 900 Quadratmeter große gotische Kreuzgang zum Holzstapeln und Obstanbau.
Schließlich trat der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge mit dem Plan an die Besitzerfamilie heran, Opfer des Krieges, die verstreut in umliegenden Landkreisen bestattet waren, hierher umzubetten – und zwar ohne Rücksicht auf ihre ethnische Herkunft und ihren Status als getötete Zivilisten oder gefallene Soldaten.