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Klagewelle von Flüchtlingsbürgen

Zahlreiche Menschen, die für syrische Flüchtlinge gebürgt haben, klagen wegen fehlerhafter Zusagen und mangelnder Information gegen Zahlungsbescheide der Behörden

DÜSSELDORF/MINDEN – Im Konflikt um die Rückforderungen von Behörden an Flüchtlingsbürgen hat sich die NRW-Landesregierung für eine schnelle Lösung ausgesprochen, sieht aber vor allem den Bund gefordert. Initiativen für Flüchtlingsbürgen fordern unterdessen eine Einigung zugunsten der Betroffenen noch in diesem Jahr.
Zahlreiche Bürgen, die von 2013 bis 2015 durch Verpflichtungserklärungen den sicheren Zuzug syrischer Bürgerkriegsflüchtlinge ermöglicht hatten, klagen derzeit gegen die Rechnungen der Jobcenter und Sozialämter.
Der unsichere Zustand „zulasten zahlreicher engagierter Bürgen“ müsse endlich beseitigt werden, erklärten das NRW-Integrationsministerium und das NRW-Sozialministerium auf Anfrage des epd. Nach „langem Zögern“ habe der Bund nunmehr seine Gesprächsbereitschaft in dem Streit zu erkennen gegeben, hieß es in der gemeinsamen Antwort der Landesministerien. NRW wolle sich dabei für „eine gemeinsame, sachgerechte Problemlösung“ starkmachen.
Initiativen für Flüchtlingsbürgen forderten unterdessen eine rasche Einigung zugunsten der Betroffenen. Wie die Länder und der Bund sich die Kosten aufteilten, sei absolut zweitrangig, sagte Rüdiger Höcker vom Evangelischen Kirchenkreis Minden dem epd. Angesichts der seit über einem Jahr andauernden Verhandlungen sei eine Einigung überfällig. Zugleich begrüßte Höcker die jüngsten Urteile des Verwaltungsgerichts Köln, das mehreren klagenden Flüchtlingsbürgen Recht gegeben hatte.
Allein am Verwaltungsgericht Minden sind aktuell rund 100 Verfahren anhängig, das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen muss über 77 Fälle verhandeln. Beim Kölner Verwaltungsgericht wurden allein gegen das Jobcenter Bonn und die Stadt Bonn 100 Klagen eingereicht. Rund 15 Fälle liegen zur Entscheidung in zweiter Instanz dem Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen in Münster vor.
Die Forderungen an Flüchtlingsbürgen erreichen vielfach fünfstellige Summen. Für NRW belaufen sich die Forderungen aus verschickten Bescheiden und Forderungen von kommunalen Trägern auf über fünf Millionen Euro, wie der „Kölner Stadtanzeiger“ unter Berufung auf Angaben der NRW-Ministerien berichtete. Das Jobcenter für den Kreis Minden-Lübbecke hat nach eigenen Angaben in den vergangenen Monaten 61 Kostenbescheide mit einer Gesamtsumme von fast einer Million Euro erlassen.
Derzeit müssen Betroffene bis zu einer endgültigen Klärung der Angelegenheit jedoch nicht zahlen – es gilt eine sogenannte „befristete Niederschlagung“ der Forderungen. In zehn Fällen habe das Jobcenter auf die Erstattung verzichtet, dabei sei es um rund 150 000 Euro gegangen. Derzeit seien gegen 13 der Bescheide Klagen anhängig.
Durch die Verpflichtungserklärungen konnten sich allein in Nordrhein-Westfalen 2600 Syrer vor dem Bürgerkrieg in ihrer Heimat in Sicherheit bringen. Vergleichbare Aufnahmeprogramme hatten damals fast alle Bundesländer aufgelegt. Die Geltungsdauer solcher Bürgschaften war damals jedoch ungeklärt: Während Länder wie NRW, Hessen und Niedersachsen von einer Befristung bis zur Anerkennung der Syrer als Flüchtlinge ausgingen, galt die Verpflichtung nach Ansicht der Bundesregierung auch danach fort. Erst das Integrationsgesetz bestimmte im August 2016 eine Fünf-Jahres-Frist, die für Altfälle auf drei Jahre reduziert wurde.
Auf die Risiken einer unbegrenzten Zahlungsverpflichtung seien die Bürgen von den Ämtern vielfach unzureichend hingewiesen worden, kritisierte der Mindener Theologe Höcker. Sie hätten sich daher auf eine Befristung bis zur Asylanerkennung verlassen. Das Verwaltungsgericht Köln habe sich in seinen jüngsten Urteilen wie bisher kaum ein anderes Gericht intensiv damit beschäftigt, was der tatsächliche Wille der Bürgen bei ihrer Unterschrift gewesen sei, würdigte Höcker. Es habe außerdem erhebliche Mängel bei der Prüfung der finanziellen Leistungsfähigkeit der Verpflichtungsgeber festgestellt. Auch diese sind nach Ansicht der Initiative auf unzureichende Vorgaben in den Aufnahmeprogrammen zurückzuführen. epd