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Kirchenkreis Minden prüft 40 Jahre zurückliegende Übergriffe

Der Kirchenkreis Minden will mehrere, über 40 Jahre zurückliegende Fälle von sexualisierter Gewalt überprüfen. Ein inzwischen gestorbener Pastor der Kirchengemeinde Lahde soll in den späten 1970er und 1980er-Jahren mehrere Jungen im Teenager-Alter sexuell belästigt haben, wie der Kirchenkreis am Freitag mitteilte. Die damalige Leitung des Kirchenkreises und die westfälische Landeskirche hätten 1998 von den Vorwürfen erfahren und den Gemeindepfarrer zum Eintritt in den Ruhestand gedrängt. Rechtliche Konsequenzen oder Akteneinträge habe es nicht gegeben.

Erst jetzt, im Hinblick auf die am Donnerstag veröffentlichte umfangreichen Studie zu sexualisierter Gewalt in der evangelischen Kirche und Diakonie habe ein Mitglied der Kirchengemeinde den amtierenden Superintendenten des Kirchenkreises, Michael Mertins, informiert, hieß es weiter. Das Gemeindemitglied habe es nicht länger mit sich vereinbaren können, zu schweigen. Aktuell sind dem Kirchenkreis laut der Mitteilung vier von den Übergriffen betroffenen Personen namentlich bekannt.

1998, viele Jahre nach den Belästigungen, habe einer der Betroffenen sich einem Mitglied des Presbyteriums der Gemeinde anvertraut. Zuvor ging er den Angaben zufolge davon aus, dass man ihm ohnehin nicht glauben werde. Zwei Personen aus dem Presbyterium hätten daraufhin die Leitung des Kirchenkreises informiert, diese wiederum die westfälische Landeskirche.

Nach damaligem Recht waren die Fälle demnach bereits verjährt. Der beschuldigte Pfarrer habe ausgesagt, dass er sich an nichts erinnern könne. Letztlich sei dem Pastor nahegelegt worden, von der damals gültigen Vorruhestandsregelung Gebrauch zu machen. Mit 58 Jahren ging der Theologe in Pension. In Abstimmung mit der damaligen Leitung des Kirchenkreises seien die Fälle sexualisierter Gewalt damals nicht öffentlich gemacht worden.

Der Mindener Superintendent Mertins äußerte sich entsetzt: „Unsere Kirche hat hier in beschämender Weise versagt.“ Er kündigte eine umfassende Aufarbeitung zusammen mit der Gemeinde und der Landeskirche an. Mertins habe die Fälle demnach bei der Meldestelle der westfälischen Kirche angezeigt und mit dem jetzigen Theologischen Vizepräsidenten Ulf Schlüter und der Personaldezernentin Katrin Göckenjan-Wessel besprochen. Ein Interventionsteam sei eingerichtet worden; die Landeskirche prüfe Disziplinarverfahren gegen damals Verantwortliche.

Der Fall aus Lahde gehöre in das „Dunkelfeld“ der gestern veröffentlichten Studie zu sexualisierter Gewalt in der Kirche, erklärte der Kirchenkreis Minden, weil er in den Akten der Landeskirche nicht vorkomme. In allen Landeskirchen würden sich nun regionale Aufarbeitungskommissionen bilden, die sich auch mit solchen bislang im Verborgenen gebliebenen Fällen auseinandersetzen sollten.