Von Uli Schulte Döinghaus
Wer über Rassismus in der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz nachdenkt, kann sich zunächst mit einigen Fakten und begründeten Annahmen beschäftigen. Dazu gehört, dass aus den Gemeinden der Landeskirche in der jüngeren Vergangenheit keine rassistischen Übergriffe berichtet wurden, weder verbale Beleidigungen noch körperliche Attacken.
Auch über interne Disziplinarmaßnahmen gegen kirchliche Bedienstete in Haupt- oder Ehrenamt ist nichts bekannt, ebenso wenig über gerichtliche Verfahren, die auf Zusammenhänge zwischen evangelischem Leben in unserer Region und alltäglichem Rassismus hindeuten. Anders als irre Verschwörungsmythologen oder organisierte Neofaschisten sind bekennende Kirchenmitglieder im Gebiet der Landeskirche augenscheinlich des öffentlichen Rassismus unverdächtig.
Thematischer Auftakt auf der Landessynode
Auf ihrer Herbsttagung im vergangenen Jahr hat die Landessynode auf Anregung der Evangelischen Jugend Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EJBO) beschlossen, sich auf den Weg zu einer „Kirche ohne Rassismus“ zu machen. Dabei will sie sich aktiv und selbstkritisch mit Rassismus innerhalb der EKBO auseinandersetzen. Spätestens auf der Frühjahrstagung 2023 soll das Thema werden. Alle haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeitenden der EKBO sollen sensibilisiert werden. „Wir sind in der Verantwortung, jeder Form von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit entgegenzuwirken. Rassismuskritische Fortbildungen für Multiplikator*innen sind hierfür ein Anfang“, sagt der EJBO-Vorsitzende Yannik Reckner. Den Auftakt dazu macht im Februar eine Tagung des Amtes für kirchliche Dienste der EKBO und des Berliner Missionswerkes.
Unter Rassismus, einem sprachlich nicht unumstrittenen Begriff, wollen wir an dieser Stelle benennen, was als „gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ definiert wird, also etwa Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus, Islamfeindlichkeit, die Abwertung von Sinti und Roma, die Abwertung asylsuchender Menschen, die Abwertung von Menschen fremder Herkünfte und Ethnien, „Schwarzen Menschen“ und „People of Color (PoC)“.
Evangelische Kirchen, auch die EKBO, verstehen sich als Institutionen in der Mitte der Gesellschaft. Sozialwissenschaftliche Untersuchungen, beispielsweise von der Bertelsmann-Stiftung (Religionsmonitor) oder der Friedrich-Ebert-Stiftung („Mitte-Studie“) bestätigen: Die allermeisten Kirchenmitglieder – zumal bekennende Christinnen und Christen – gehören wirtschaftlich, kulturell und sozial zur gesellschaftlichen Mitte, die mehr und mehr rassistischen Versuchungen widersteht. „Rechtsextreme Einstellungen sind über die Gesamtgesellschaft betrachtet insgesamt weiter rückläufig“, schreibt, wenn auch vorsichtig und abwägend, die Friedrich-Ebert-Stiftung.
Weniger Rassismus gegenüber Schwarzen Menschen
Nur wenige Menschen, so die FES-Mitte-Studie, stimmen rassistischen Aussagen gegenüber Schwarzen Menschen zu. Das ist eine Tendenz, die von Erhebungswelle zu Erhebungswelle sogar immer besser wird. Die FES-Studie resümiert: „Rassismus wird mehrheitlich geächtet und steht im Jahr 2021 oben auf der gesellschaftlichen und politischen Agenda.“
Mindestens neun von zehn Christinnen und Christen, die in der Mitte der Gesellschaft verortet sind, wehren rassistische Aussagen strikt ab; das dürfte sich hier in Berlin, Brandenburg und der schlesischen Oberlausitz nicht vom Rest der Republik unterscheiden. Darauf weist auch die beeindruckende Zahl der Protestanten hin, die sich – zwischen Prenzlau und Görlitz, Perleberg und Eisenhüttenstadt – für Flüchtlinge und Auswanderer nach Kräften einsetzen. Das ist aktiver, angewandter Antirassismus.
Nur ein Drittel Teil der christlichen Gemeinschaft
Widersprüchlich dagegen ist, was der sogenannte Afrozensus des Vereins Each One Teach One (Eoto) dokumentiert. Im „Afrozensus 2020“, einer Studie, welche die Lebensrealität Schwarzer Menschen in Deutschland untersucht, wurden repräsentativ mehr als 5000 Menschen (von rund einer Million Schwarzer Menschen) befragt, die in Deutschland leben. Nur etwas mehr als ein Drittel der Befragten (36,4 Prozent) gab an, sich als Teil einer christlichen Glaubensgemeinschaft zu verstehen. Die meisten Befragten sind atheistisch, agnostisch oder machten keine Angabe.
Unter Schwarzen Menschen ist scheinbar das Ansehen der verfassten Kirchen denkbar gering. An zweitletzter Stelle der Institutionen, denen in den Schwarzen Gemeinschaften vertraut wird, steht „Kirche“ mit fast 60 Prozent („kein Vertrauen“ und „eher kein Vertrauen“). Dahinter rangieren nur noch die Ausländerbehörden. Und: Die wenigsten Befragten geben an, sich nach einem diskriminierenden Vorfall an Politiker (2,3 Prozent) oder eine Kirche/Glaubensgemeinschaft zu wenden (1,8 Prozent). „Afrozensus“-Forscher sind ratlos: „Auf der Grundlage der vorliegenden Daten können wir nicht erklären, warum das mehrheitliche Misstrauen gegenüber ,der Kirche‘ so groß ist.“
Vielleicht hat auch die Evangelische Kirche in Brandenburg, Berlin und der schlesischen Oberlausitz ein Kommunikations- und Repräsentationsproblem mit „Schwarzen Menschen“ und „People of Color“? „Man geht nicht in eine Kirchengemeinde, wenn man sich mit ihren Leuten nicht identifizieren kann“, sagt Lý-Elisabeth Dang, Pfarrerin im Projekt „Missionarischer Erprobungsraum“ im Kirchenkreis Zossen-Fläming.
Weiße Menschen in den Kirchengremien
Am 21. März des vergangenen Jahres, dem Internationalen Tag gegen Rassismus, hatte sie während eines vielbeachteten digitalen Gottesdienstes von BIPoC-Menschen gepredigt. BIPoC steht für Black, Indigenous und People of Color, also Schwarz, Indigen und People of Color. „Ich vermisse die Repräsentation von Menschen of Color in unseren Kirchen und ihren Gremien. Dort sind ausnahmslos weiße Menschen vertreten“, sagt Pfarrerin Dang.
Das Amt für kirchliche Dienste (AKD) der EKBO und das Berliner Missionswerk laden am 11. und 12. Februar zu einem Online-Impuls- und Werkstatttag „Kirche ohne Rassismus?!” (via Zoom) ein. Die Tagung ist kostenlos. Weitere Informationen und Kontakt:
Amt für kirchliche Dienste