Artikel teilen:

Kinderstimmen statt Moll

Die Lorenzkirche ist ausverkauft. Aber es wird kein großer deutscher Rockstar erwartet, kein bedeutendes Philharmonisches Orchester kommt an diesem geschichtsträchtigen Tag, dem 8. Mai, in die große Kirche. Es werden 200 Nürnberger Kinder auftreten und „SingFrieden“ präsentieren. Am Dirigentenpult steht die Kirchenmusikerin und Kinderstimmbildnerin Friedhilde Trüün aus Tübingen.

Ein paar Tage vor dem großen Auftritt begrüßt die fröhliche blonde Frau um die 60, grünes Halstuch, rotes Stirnband, blaues Shirt und roten Sneakers, an der Tür der Nikodemus-Kirche jeden Sänger, jede Sängerin zur Probe. Sie gibt ihnen die Hand mit einem Lächeln und einem kräftigen „Guten Morgen“. Einem Mädchen nimmt sie die rosa Kappe vom Kopf, einen Buben ermahnt sie: „Schau mir in die Augen“. Das Signal ist klar: Diese Frau kann warm und streng.

„Hände aus den Taschen, in den Stützsitz“, mit lang gezogenem „Ui, ui“und kurzem „Wupp, wupp“ singen sich die Kinder ein, bevor es zum ersten Lied aus der Rubrik „Kontinente“ – Friedensliedern aus aller Welt geht. In neuen Arrangements für Chor und Orchester werden zum 80. Jahrestag des Kriegsendes Werke der Musikgeschichte von Mozart, Dvořák und Bach in der Lorenzkirche zu hören sein. Die Friedenstexte, meist in Reimform, hat Friedhilde Trüün selbst geschrieben, Kinder tragen sie vor.

Die Friedenslieder aus Korea, Neuseeland, Südafrika, den USA und Israel singen die Buben und Mädchen auswendig. Die Schülerinnen und Schüler aus den 4. und 5. Klassen sind eine Woche vom Unterricht befreit, um mit Friedhilde Trüün zu proben. Yuma und Janne mögen die Melodie von „Lasst die Töne heller klingen“ nach dem Te Deum von Marc-Antoine Charpentier, erzählen sie in der Probenpause. „Da muss ich nicht so hohe Töne singen“, erklärt Yuma. Abigail liebt es dagegen, wenn sie hoch singen darf und macht enthusiastisch bei „Amazing Grace“ mit.

Musikalische Vorkenntnisse seien keine Vorbedingung für die teilnehmenden Klassen gewesen, erzählt die Musikpädagogin Trüün. Wichtig sei ihr aber, dass die Lehrkräfte „Vertrauen und Zutrauen“ in die Kinder hätten. „Nicht alle wollen singen, aber alle können singen“, ist ihr Leitwort. SingFrieden ist das vierte große Projekt, das Trüün mit Kindern auf eine große Bühne vor einem Publikum aus mehreren Hundert Menschen bringt. 2010 begann sie mit SingBach, 2015 folgte SingRomantik, 2020 SingBeethoven in Frankfurt am Main und nun SingFrieden.

Auch wenn Anfang der Woche nicht jeder Ton sitzt und sich sogar ein paar Schüler mit verschränkten Armen vor der Brust noch ganz verweigern, ist die Chorleiterin zuversichtlich: „Das klappt bestimmt.“ Sie sei ein positiver Mensch und habe Geduld, erklärt sie ihr Rezept. Wie sie es schafft, bereits am zweiten Probentag beinahe jedes Kind beim Namen zu kennen, fasziniert Moritz Puschke, den Leiter des Nürnberger Festivals ION, der Trüün für das Projekt nach Nürnberg geholt hat. Puschke hält die Chorleiterin für eine Magierin: „Wie sie auch Widerständler einbindet, dass die schließlich vor 1.000 Zuhörern stehen und einen Solopart wagen“, begeistert ihn.

Puschke ist sich sicher, dass dieses Konzert unter die Haut gehen wird. Es ist für ihn sozusagen das Präludium für das Festival ION vom 27. Juni bis 6. Juli, das elf Tage lang Stars und experimentelle Konzerte nach Nürnberg holt. International, interreligiös und kindgerecht sollte das Werk sein, das die ION speziell für SingFrieden in Auftrag gegeben hat. Elemente von Bach bis John Lennon stecken in dem Stück, das am 8. Mai Weltpremiere feiert und am 9. Mai noch einmal erklingt. „Kein Moll, kein Requiem, sondern Tänzerisches, mehr Soul und Gospel“, sagt Puschke. Von den vorhergehenden Projekten mit Trüün weiß er: „Die Kinder sind danach verändert.“ Das Publikum, hofft er, wird es auch sein. (1029/06.05.2025)