Berlin – Die beiden großen Kirchen in Deutschland haben vor einem vollständigen Aussterben des Christentums im Nahen Osten gewarnt. Die Situation von Christen sei dort nach wie vor besonders bedrängend, erklärten die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) und die katholische Deutsche Bischofskonferenz in Berlin. Aufgrund langfristiger Trends und der Auswirkungen der Terrorherrschaft der Miliz „Islamischer Staat“ (IS) drohe in einigen Ländern ein Ende der christlichen Präsenz.
Der Vorsitzende der Kommission Weltkirche der Bischofskonferenz, Ludwig Schick, sagte, die kürzliche Entscheidung der US-Regierung, Jerusalem als Hauptstadt Israels anzuerkennen, lasse befürchten, dass der Exodus der Christen aus der Region noch weiter zunimmt. Sie wanderten wegen der Spannungen aus. Die EKD-Auslandsbischöfin Petra Bosse-Huber sagte, die Lage in Ostjerusalem habe sich bereits verschärft.
Die beiden Kirchen legten zum zweiten Mal nach 2013 einen gemeinsamen Bericht zur Religionsfreiheit von Christen weltweit vor. Daraus geht hervor, dass auch in Teilen Subsahara-Afrikas, etwa im Norden Nigerias, Christen Opfer islamistischer Gewalttäter werden. Daneben stünden autoritär regierte Staaten wie China, Vietnam und Nachfolgestaaten der Sowjetunion, die religiöse Aktivitäten der staatlichen Herrschaft unterstellen wollen, heißt es in dem Bericht weiter.
Der Bamberger Erzbischof Schick sagte, es gebe drei Grundmotivationen, Minderheitsreligionen zu unterdrücken: Religionsabsolutismus, bei der die Mehrheitsreligion andere Glaubensrichtungen nicht zulässt, Nationalismus zugunsten der Mehrheitsreligion wie in Indien und Myanmar sowie autoritäre Regierungen, die Religion als Störfaktor der eigenen Herrschaft ansehen. Schick sagte, die Religionsfreiheit sei Kern der Menschenrechte, weil es Seele und Herz berühre. „Da trifft es den Menschen am stärksten“, sagte der Bischof. Bosse-Huber sagte, es gebe einen Zusammenhang zwischen der Freiheit der Religionsausübung und freier Meinungsäußerung. Wo das eine gefährdet sei, sei auch das andere in Gefahr. Die Kirchen sehen Politik und Gesellschaft gleichermaßen in der Pflicht, sich für die Grundrechte weltweit einzusetzen.
Der rund 70-seitige Bericht verzichtet erneut auf eine Schätzung der Zahl der weltweit verfolgten und unterdrückten Christen. Das Hilfswerk „Open Doors“, das der Evangelischen Allianz nahesteht, veröffentlicht jährlich einen „Weltverfolgungsindex“ und schätzte dabei die Zahl verfolgter Christen zuletzt auf weltweit 200 Millionen. Kritikern gelten diese Berechnungen als nicht fundiert genug. Bosse-Huber sagte, bislang gebe es kein wissenschaftliches Instrumentarium, um die Zahl der verfolgten Christen zu erfassen. Vielmehr wollten die Kirchen daher über die Ursachen der Verletzung von Religionsfreiheit informiert werden.
Beide Kirchenvertreter zeigten sich alarmiert von den jüngsten antisemitischen Vorfällen in Deutschland. Im Bericht heißt es, in vielen europäischen Ländern hätten antisemitische Angriffe zugenommen. Es sei „hoch beunruhigend“, was sich an vielen Orten abspiele, sagte Bosse-Huber. Sie erfahre beispielsweise aus Schulen, in denen christliche, jüdische, muslimische und atheistische Kinder und Jugendliche gemeinsam lernen, dass es vermehrt zu Übergriffen auf Juden kommt. Das sei eine „zunehmende, akute Form von Antisemitismus“, sagte Bosse-Huber. Schick sagte, die Kirchen stünden für das klare und eindeutige Bekenntnis, dass es keinen Antisemitismus geben dürfe.
In Deutschland haben Demonstrationen, auf denen aus Protest gegen die Anerkennung Jerusalems als Israels Hauptstadt durch die USA israelische Fahnen verbrannt wurden, eine neue Debatte um Antisemitismus entfacht. Der Zentralrat der Juden regte Gesetzesverschärfungen an, um solche Demonstrationen zu verbieten. Bosse-Huber sagte, sie sei vorsichtig bei Gesetzesänderungen. Es sei vielmehr die ganze Zivilgesellschaft gefordert, Antisemitismus entgegenzutreten. epd/UK