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Keine Macht den alten Bildern

15 Jahre nach den islamistischen Terroranschlägen in den USA scheint es schwerer denn je, gewachsene Feindbilder zu überwinden. Und doch gibt es hoffnungsvolle Ansätze

Bob Jagendorf

„Wir machen weiter. Auch wenn alle Welt verrückt spielt.“ Hartmut Dreier, pensionierter evangelischer Pfarrer aus Marl und Initiator des dortigen Abrahamsfestes, lässt sich nicht abbringen von seinem Ziel: dem friedlichen Zusammenleben der Menschen unterschiedlicher Herkunft und Religionen.
Dreier hat Recht. Die Welt spielt leider tatsächlich verrückt. Vor allem seit dem 11. September 2001.  Die einen erklären den gesamten Westen und dessen Lebensweise zu ihrem Feind, die anderen wittern hinter jedem Busch eine islamistische Bedrohung.

Es ist nicht zu leugnen: Jener Tag vor mittlerweile 15 Jahren, an dem Terroristen vier Flugzeuge entführten und zwei davon äußerst bildmächtig in die beiden Türme des New Yorker World Trade Centers lenkten, markiert eine Zeitenwende. Mit einem Schlag hat er unseren Blick auf die Menschen aus anderen Kulturen verändert: Aus „Ausländern“ – Türken zum Beispiel, Libanesen oder Marokkanern – wurden plötzlich Muslime. Keiner fragt danach, wie religiös diese Menschen eigentlich sind, ob ihnen der Glaube überhaupt etwas bedeutet.
Auf der anderen Seite hat der Rachefeldzug, in den die USA und ihre Partner nach „9/11“ gegen Afghanistan und den Irak gezogen sind, vor allem junge Menschen ohne Lebensperspektive in die Arme der Islamisten getrieben. Nicht nur im Nahen Osten. Auch in Europa – mitten unter uns, wie die jüngsten Anschläge auf erschreckende Weise gezeigt haben.

Die Spirale aus Gewalt und Gegengewalt, die vor 15 Jahren ihren Anfang nahm, dreht sich weiter. Von Mäßigung und Einkehr von Vernunft kaum eine Spur. So reden wir etwa über ein Burka-Verbot, das bestenfalls als Symbolthema von Bedeutung sein mag, aber rein quantitativ kaum von Belang ist, anstatt alle Kraft (und richtig Geld!) in Integrationsmaßnahmen zu stecken. Und in die Aufklärung von Menschen, die sich bedroht fühlen von den Fremden in unserem Land, die nicht erkennen, wo die Grenzlinie verläuft zwischen gläubigen Muslimen und islamistischen Terroristen.
Gefragt ist auch die Sozialpolitik: Kein junger Mensch darf ohne Perspektive zurückgelassen werden, wenn er nicht in die Fänge radikaler Kräfte geraten soll (mögen sie nun Islamisten sein oder Rechtsextreme). Das gilt in Paris ebenso wie in München und Brüssel, in Dortmund ebenso wie in Detmold und Paderborn. Und das gilt für Eingewanderte ebenso wie für Einheimische.

Mit all dem ist sicher nicht die Welt gerettet. Aber vielleicht der soziale Friede hierzulande. Das wäre immerhin ein Anfang.

15 Jahre nach „9/11“ wird es Zeit, den Bildern von den Flugzeugen in den Zwillingstürmen, die sich uns allen eingebrannt haben, ihre Macht zu entziehen und zu versuchen, als Menschen aufeinander zuzugehen.

So, wie es zum Beispiel die Leute bei den Abrahamsfesten tun – in Marl, Bielefeld und anderswo.