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Keine Ausreden

Andacht über den Predigttext zum 21. Sonntag nach Trinitatis: Matthäus 10, 34-39

Carsten Trier

Predigttext
34 Ihr sollt nicht meinen, dass ich gekommen bin, Frieden zu bringen auf die Erde. Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert. 35 Denn ich bin gekommen, den Menschen zu entzweien mit seinem Vater und die Tochter mit ihrer Mutter und die Schwiegertochter mit ihrer Schwiegermutter. 36 Und des Menschen Feinde werden seine eigenen Hausgenossen sein. 37 Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert; und wer Sohn oder Tochter mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert. 38 Und wer nicht sein Kreuz auf sich nimmt und folgt mir nach, der ist meiner nicht wert. 39 Wer sein Leben findet, der wird‘s verlieren; und wer sein Leben verliert um meinetwillen, der wird‘s finden.

Petra und Doris sind beste Freundinnen. Und: Sie sind so unterschiedlich, dass Außenstehende kaum nachvollziehen können, wie die beiden es geschafft haben, dass ihre Freundschaft nun seit über fünf Jahrzehnten besteht. Bei allen Auf und Abs, die das Leben zu bieten hat, haben die beiden stets zusammengehalten und einander unterstützt.
Petra ist eher die Harmoniebedürftige. Sie möchte, dass es allen gut geht. Ihrem Mann und ihren inzwischen erwachsenen Töchtern hat sie immer versucht, ein schönes Zuhause zu bieten. Sie scheut Auseinandersetzungen. Wenn es um ihre eigenen Interessen geht – lieber Wanderurlaub als Badeurlaub –, gibt sie eher klein bei, als sich durchzusetzen.
Ganz anders Doris. Sie nimmt jeden Konflikt auf. Als Mitarbeitervertreterin hat sie für die Kolleginnen und Kollegen schon so manches durchgesetzt – für sich selber auch. Knapp fünf Jahre hat es gebraucht, bis ihr Mann verstand, dass den Müll rauszubringen noch nicht der halbe Haushalt ist. Stück für Stück übernahm er Aufgaben im Haushalt.
Jede Woche treffen sich die beiden Freundinnen im Bibelkreis ihrer Kirchengemeinde. Da haben sie wohl wegen ihrer Unterschiedlichkeit eine belebende Wirkung auf die Gespräche. Vielleicht ist das auch das Geheimnis ihrer Freundschaft: Sie wissen, dass es etwas gibt, das größer ist als ihre unterschiedlichen Charaktere und persönlichen Meinungen. Etwas, bei dem sie beide gut aufgehoben sind. Der heutige Bibeltext ist eine Herausforderung – auch für beste Freundinnen.
Für Doris ist er eine Bestätigung ihrer kämpferischen Grundhaltung: „Ich hab‘ es doch immer geahnt. Im Grunde ist Jesus ein Revolutionär. Nicht nur friedliche Mittel setzt er ein, sondern das Schwert. Auch seine Feindesliebe hat Grenzen. Und von christlicher Familienidylle keine Spur!“ Petra hingegen versteht die Welt nicht mehr: „Ich kann nicht glauben, dass Jesus das gesagt hat. Da muss was falsch überliefert worden sein. Das passt doch einfach nicht – weder zu ihm noch zur Bibel insgesamt!“
Da stimmen ihr die anderen Bibelkreisteilnehmer zu. Presbyter Möllers erinnert an das Gebot, Vater und Mutter zu ehren. „Und ihr Eltern, reizt Eure Kinder nicht zum Zorn!“ zitiert daraufhin die Jugendmitarbeiterin den Apostel Paulus. „Hat Jesus nicht bei seiner Verhaftung gesagt, wer zum Schwert greift, wird durchs Schwert umkommen?“ fragt die Küsterin und gibt zu bedenken: „Vielleicht ist das Schwert hier eher im übertragenen Sinne zu verstehen, als Schwert des Geistes, quasi als Wort Gottes?“ Das empfindet nun Doris als Weichspülen von Bibelstellen, die einem nicht passen.
Die Diskussion wird immer lebhafter, immer mehr Bibelstellen werden herangezogen, die zeigen sollen: Jesus kann das doch so nicht gemeint haben.
Petra hat irgendwann angefangen in ihrem Smartphone zu googeln. Dann meldet sie sich zu Wort: „Also, beim Propheten Micha, da steht fast das Gleiche. ,Der Sohn verachtet den Vater, die Tochter widersetzt sich der Mutter, die Schwiegertochter ist wider die Schwiegermutter.‘ Allerdings beschreibt Micha, wie es in der Welt zugeht und wie es bei denen, die an Gott glauben, nicht sein soll.“
„Genau! Und bald ist Weihnachten!“ meint daraufhin Presbyter Möllers. Erst sind alle irritiert, dann beginnen sie, den Bibeltext von diesem Standpunkt aus zu sehen. Ihr Ergebnis:
Gott kommt in diese Welt und das hat Konsequenzen. Denn seine Botschaft steht oft quer zu familiären und gesellschaftlichen Bindungen. Dann kann es zu Brüchen kommen. Doch diese Brüche sind nicht der Normalfall, sondern eher die Ausnahme. Zur Ausnahme werden sie, wenn sie daran hindern, den Willen Gottes zu tun. Pubertierende Töchter und eigensinnige Schwiegermütter sind der Normalfall. Da darf das Bibelwort nicht zur Ausrede werden, sich von ihnen abzuwenden. Gar nicht so einfach! Da sind sich die kämpferische Doris und die harmoniebedürftige Petra einig.