BIELEFELD – Die Radikalisierung des Islam im Nahen Osten ist das Ergebnis westlicher Interventionspolitik. Westliche Staaten, allen voran die USA, hätten sich „mit dem übelsten Pack verbündet, sofern es westliche Interessen vertritt“, sagte der Politologe und Publizist Michael Lüders bei einem Vortrag in Bielefeld. Lüders, langjähriger Nahost-Redakteur der „Zeit“, sprach auf Einladung der Evangelischen Kirche von Westfalen über die Auswirkungen der Gewalt in der Region auf Europa.
Ziel der US-amerikanischen Politik in der arabischen Welt seit dem Zweiten Weltkrieg sei nicht der Aufbau demokratischer Strukturen, sondern die Durchsetzung eigener Interessen, etwa beim Thema Energie, so Lüders. Zu diesem Zweck habe der Westen Minderheiten und Dikatoren unterstützt. Jede Form von demokratischer Entwicklung im Nahen Osten sei dagegen systematisch zerstört worden, bis hin zur Bombardierung ganzer Städte mit einer Vielzahl ziviler Opfer, etwa im Syrien-Krieg. „Die Folgen dieser Zerstörungen sind ein wunderbares Rekrutierungs-Instrument für Dschihadisten“, sagte der Referent.
Der radikale Islam, etwa in Form der ägyptischen Muslimbruderschaft, ersetze mit seinen Suppenküchen und sozialen Angeboten häufig das fehlende Sozialsystem der von korrupten Diktatoren regierten Staaten, erklärte Lüders. Eine starke Mittelschicht dagegen, die politische Verantwortung übernehmen könne, fehle in den arabischen Gesellschaften. Damit sei auch das Scheitern des Arabischen Frühlings zu erklären. Daher sei es „schlicht nicht möglich“, die Verhältnisse in diesen Staaten von innen heraus zu ändern.
Lüders warf den USA eine kurzsichtige und nicht zur Empathie fähige Politik vor. Bei ihren häufigen militärischen Interventionen in der Region habe sie in keinem Fall über das „Danach“ nachgedacht. „Wenn man ganze Staaten in die Hoffnungslosigkeit bombt, darf man sich nicht wundern, dass radikale Milizen anschließend die Macht übernehmen“, so Lüders.
Auch Deutschland habe mit Waffenlieferungen an Dikatoren zur Eskalation der Lage beigetragen. Die Europäische Union zahle jetzt mit dem hohen Flüchtlingsaufkommen den Preis für diese Politik, erklärte der Nahost-Experte.
Lösungsansätze für die verfahrene Situation hatte Lüders nicht anzubieten. Er forderte die Politik zu einer selbstkritischen Haltung auf. „Der Widerspruch zwischen hehren Ansprüchen und machtpolitischem Kalkül muss erkannt und eingestanden werden“, sagte er. Den 120 geladenen Gästen im Landeskirchenamt sagte er zum Abschluss:„Ich hoffe, Sie sind jetzt ratlos auf höherem Niveau.“ leg
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Kein Durchblick
Der Nahost-Experte Michael Lüders kritisiert „heuchlerische Politik“ des Westens