Hansen ist 59, kerngesund und „lebenssatt“. Neun Monate vor seinem 60. Geburtstag am 21. Dezember beschließt er, sich am kürzesten Tag des Jahres zu töten. Denn das Leben scheint dem erfolgreichen Dokumentarfilmer und Vater eines erwachsenen Sohnes nur noch als schale Ansammlung von Wiederholungen. Aber darf man das, sein Dasein einfach wegwerfen? Oder umgekehrt: Muss man leben, nur weil man lebt?
Einmal mehr geht es um Liebe, Tod, Glaube
Diese Fragen bilden den Ausgangspunkt von „Dämonen. Hansens Geschichte“, dem neuen Buch von Jürgen Domian. In dem Roman hat der Journalist und legendäre „Nighttalker“ wieder seine Lieb-lingsthemen verarbeitet: Liebe, Tod, Glaube. Darum ging es auch oft in seiner Live-Sendung „Domian“, die über 20 Jahre lang zur dunkelsten Nacht im Radiosender 1Live und im WDR-Fernsehen lief. Nun entwickelt er auf knapp 190 Seiten die Auseinandersetzung der Hauptfigur Hansen (einen Vornamen erfährt der Leser nicht), der neun Monate lang buchstäblich schwanger geht mit dem Gedanken, seinem Leben ein Ende zu machen. Das Pikante: Jürgen Domian selbst wurde am 21. Dezember 60 Jahre alt.
Hansen plant seinen Suizid in der eisigen Einöde Nordschwedens. Dort will er splitternackt im Schnee von Lappland und betäubt mit einer Flasche Whisky sterben. Systematisch lässt er alle Kontakte zu den wenigen Bekannten einschlafen, räumt seine Berliner Wohnung leer und regelt die letzten Dinge. Seinen Plan will er für sich behalten, vor allem sein geliebter Sohn Philipp darf nichts erfahren. Schon im Sommer bricht Hansen in den Norden auf. Doch statt den Frieden des Abschieds bringt dieser Rückzug den Kampf: Die Dämonen der Stille fallen ihn an.
Domian schildert diesen Kampf entlang Hansens Erleben in der einsamen Blockhütte in Nordschwe-den. Zunächst genießt er die Natur, lange Wanderungen in abgelegenste atemberaubende Landschaften. Doch Hansen verliert zusehends den Bezug zu den Menschen. Die endlosen Grübeleien greifen seine seelische Gesundheit an. Als er sich im Wald verirrt, erscheint ihm ein gesichtsloses Wesen in schwarzem Kapuzengewand. Hansen scheint den Verstand zu verlieren.
Im inneren Kampf seiner Hauptfigur lässt Autor Domian viele Dichter zu Wort kommen: Dante, Rainer Maria Rilke, Heinrich Heine, Dylan Thomas, Paul Celan, Hermann Hesse, Hilde Domin oder Wolfgang Herrndorf („Tschick“), der sich – erkrankt an einem Hirntumor – 2013 das Leben nahm. Ebenso zitiert Domian Philosophen wie Sokrates oder Kierkegaard, die Mystiker Johannes vom Kreuz und Meister Eckhart, den Mönch und Wüstenvater Evagrius und nicht zuletzt die Bibel. Mit Hansen kann sich der Leser hin- und herreißen lassen von all diesen Ideen zum Sinn von Leben und Tod, zur Freiheit und Verantwortung des Individuums.
Besonders quält Hansen der Gedanke an seinen Sohn Philipp. Kann er ihm das antun? Mit 27 Jahren hatte der Sohn ein Nahtoderlebnis: Nach einem Verkehrsunfall lag er im Koma und war anschließend „wesensverändert“. Er habe etwas „tief Spirituelles“ wahrgenommen. Für Hansen sind solche Erfahrungen „verrückt gewordene Chemie im Gehirn eines Todkranken oder Sterbenden“. Philipp aber beginnt eine Suche nach den großen Sinnfragen. Hansen wird nun klar, dass er diese Suche nie wirklich ernst genommen hat.
Der Leser bleibt nicht hoffnungslos zurück
Ins Wanken bringt Hansen auch das Schicksal seiner schwedischen Vermieter Ingvar und Astrid. Ingvars Satz „Wir ehren das Leben“ beschämt ihn, ebenso der Rat der todkranken Astrid „Es lohnt sich, für das Leben zu leben“. Aber reicht all das, um seinen Entschluss zu kippen?
Jürgen Domians Buch „Dämonen“ endet fast wie eine griechische Tragödie. Dennoch lässt es den Leser nicht hoffnungslos zurück. „Das Glück zu leben ist stärker als jede Angst“, heißt es da unter anderem. Der Schluss entspreche bei aller Traurigkeit seiner tiefen Überzeugung, sagt der Autor: „Es gibt keine Weisheit und Hoffnung ohne den Schmerz.“ In dem Buch habe er viele seiner Lebensthemen verarbeitet.
Jürgen Domian: Dämonen – Hansens Geschichte. Gütersloher Verlagshaus, 189 Seiten, 17,99 Euro.