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Job in aussichtsreicher Lage

Für Blanca Knodel ist das Leben im Blauen Turm ein Traumjob. Vor 20 Jahren bezog sie als erste Türmerin Deutschlands ihre Wohnung in luftiger Höhe

Ralf Schick

Sie war 1996 die erste Frau in Deutschland, die als „Türmerin“ in eine Turmwohnung einzog: Blanca Knodel (64) führt seit 20 Jahren die Touristen auf den höchsten Punkt des Blauen Turms, des städtischen Wahrzeichens von Bad Wimpfen am Neckar aus dem Jahr 1200. Inzwischen gibt es noch weitere „Türmerinnen“, etwa in Münster Martje Saljé und in Lübben Vera Städter, die aber nicht im Turm wohnen. Oder das Ehepaar Marit und Matthias Melzer, das im Turm der St. Annenkirche in Annaberg-Buchholz lebt.

Knodel pflegt eine 650 Jahre alte Tradition

Einst mussten Türmer die Bürger vor Bränden und Feinden warnen, heute sind sie eher eine Touristenattraktion. Ihre Aufgaben bestehen zumeist darin, zu festen Zeiten Einlass anzubieten und durch den Turm zu führen. Oder – wie in Münster – von neun Uhr abends bis Mitternacht alle halbe Stunde in alle vier Himmelsrichtungen in ein Kupferhorn zu blasen.
In Bad Wimpfen pflegt Blanca Knodel eine 650 Jahre alte Tradition – nach Angaben der Stadt die längste Türmertradition Deutschlands. Aufgewachsen im Gasthaus „Kräuterweible“ in der Nähe des Turms hat sie es von klein auf gelernt, zu allen möglichen Tageszeiten und am Wochenende zu arbeiten: „Ich war das gewohnt.“
Ihre drei Kinder hat sie alleine großgezogen. „Bei der dritten Schwangerschaft ist der damalige Vater einfach nach Kanada getürmt“, sagt Knodel und lacht über ihr Wortspiel.
Einmal die Woche steigt sie die 134 Stufen hinab, um ihren Großeinkauf zu erledigen. Die Sprudelkisten stellt sie dann unten am Turmeingang ab – und verspricht den Touristen eine Flasche Bier, wenn sie sie mit hochbringen. „Die machen das gerne“, sagt Knodel. Im Gegenzug lernt sie neue Menschen kennen und unterhält sich mit den Touristen „auf Deutsch, Englisch, Spanisch und mit Händen und Füßen“.
1996 fragte die Stadtverwaltung sie, ob sie nicht als Türmerin die Tradition im Blauen Turm fortsetzen wolle. „Ich habe keinen Moment gezögert“, sagt Knodel. Schließlich habe sie damit eine Traumwohnung in aussichtsreicher Lage gut 25 Meter über der Altstadt bekommen. 55 Quadratmeter ist ihre Turmwohnung groß.Dafür gab sie eine Sechs-Zimmer-Wohnung mit 160 Quadratmetern auf. Ihre Kinder fanden es „supertoll“ in der kleinen Wohnung.

Wohngemeinschaft mit dem Kater

Tausende von Touristen besuchen jährlich den 58,75 Meter hohen Blauen Turm. Und die meisten halten auch kurz inne an ihrer „Mautstelle“ neben der Wohnungstüre und werfen einen Blick in die Wohnung, bevor sie die letzten 33 Stufen zum freien Turmrundgang hinaufsteigen.
In der heimeligen Stube wohnt die Türmerin heute nur noch mit Kater Tom-Tom. Begeistert ist Knodel vor allem von den Wettererscheinungen, etwa wenn ein Gewitter aufzieht. Oder von den Sonnenauf- und untergängen, die die Wohnung immer in ein besonderes Licht setzen.
Noch bevor sie in den Turm zog, wurde ein modernes Blitzschutzsystem eingebaut, das auch Blanca Knodel vor extremen Gewittern schützt. Denn im Jahr 1984 hatte ein Blitz einen Großbrand im Turm verursacht und diesen schwer beschädigt.
Auch derzeit ist der Turm wieder eingerüstet, weil Risse entdeckt wurden. Bis Ende Mai wollen die städtischen Verantwortlichen herausgefunden haben, woher sie kommen und was dies für Folgen haben könnte. Blanca Knodel aber ist fest davon überzeugt, dass sie nicht wird ausziehen müssen. „Ich will noch mindestens 20 Jahre hier oben leben“, sagt sie. Dann wäre sie auch die älteste Türmerin Deutschlands. Der bislang älteste Türmer lebte auf dem „Daniel“-Turm in Nördlingen und wurde 84 Jahre alt.