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“Jetzt erst Recht” – Warum Hoffnung heutzutage Konjunktur hat

Ist sie eine Quelle der Kraft oder eine Flucht vor der Realität? Ein Gefühl oder eine Tugend? Was bedeutet Hoffnung heute? Der Wissenschaftler Jonas Grethlein hat Antworten bereit.

“Solange ich atme, hoffe ich”, hieß es bei den Römern. Heute sagt man: “Die Hoffnung stirbt zuletzt”, wenn die Lage schwierig bis aussichtslos erscheint. Was bedeutet Hoffnung für die Menschen? Dieser Frage geht der Heidelberger Wissenschaftler Jonas Grethlein in seinem neuen Buch “Hoffnung. Eine Geschichte der Zuversicht von Homer bis zum Klimawandel” nach.

Für Grethlein selbst stellte sich eine ganz Zeit lang die Hoffnung in Prozenten dar – 17 Prozent. 2005 erkrankte er an Blasenkrebs. Die Chance, die kommenden zehn Jahre zu überleben, betrug eben 17 Prozent. Grethlein, damals 27 Jahre alt, war in seinen Grundfesten erschüttert, denn bis dahin führte ihn seine wissenschaftliche Karriere ständig nach oben. Wie er mit der Krankheit umging, hat er in seinem vor zwei Jahren erschienen Buch “Mein Jahr mit Achill” geschildert.

Im aktuellen Buch setzt Grethlein mit dem Beginn der Literatur im wahrscheinlich achten Jahrhundert vor Christus ein. Der griechische Dichter Homer lasse seine Helden bereits hoffnungsvoll in die Zukunft schauen, erklärt der Altphilologe und Spezialist für altgriechische Literatur.

Glaube, Liebe, Hoffnung – das sind die drei theologischen Tugenden, die der Apostel Paulus im Römerbrief definierte, der bei kirchlichen Hochzeiten gerne für die Lesung ausgewählt wird. Das Christentum habe einen uneingeschränkt positiven und stark aufgeladenen Hoffnungsbegriff entwickelt, so Grethlein, dessen Wirkung erst in der Moderne nachgelassen habe. “Hoffnung ist nicht ausschließlich, aber vor allem auf das ewige Leben gerichtet.”

So weist er auch auf Papst Benedikt XVI. hin, der 2007 eine Lehrschreiben über die Hoffnung verfasst hat mit dem Titel: “Auf Hoffnung hin sind wir gerettet” (2007). Die christliche Hoffnung, wie sie Benedikt in seiner Enzyklika entwickele, richte sich auf die Ewigkeit. Sie werde von dem früheren Papst als ein Eintauchen beschrieben “in den Ozean der unendlichen Liebe, in dem es keine Zeit, kein Vorher und Nachher mehr gibt”, zitiert Grethlein aus dem Schreiben.

“Im 20. Jahrhundert wurde das Hoffen einem Stresstest unterzogen”, stellt Grethlein im Hinblick auf die Zivilisationsbrüche wie den Holocaust fest. Er zeigt an verschiedenen Texten die “Zähigkeit des Hoffens”: Auch in und nach schweren Erfahrungen hoffen Menschen. Entbehrungen sind sogar ein fruchtbarerer Grund für Hoffnungen. Daher kommt er zu dem Schluss: Das Hoffen hat den Stresstest bestanden.

Was die Gegenwart betreffe, “ist der Klimawandel eine neue Herausforderung, die mit der Existenz der Menschheit auch die Hoffnung in Frage zu stellen scheint”, erklärt der Wissenschaftler. Tatsächlich habe die Hoffnung gerade als Thema Konjunktur – unter Philosophen, Politologen und Psychologen, stellt Grethlein fest.

Hoffnung werde nun als politische Tugend gehandelt, die zum Handeln motiviere und den Weg für Verbesserungen ebne, konstatiert der Wissenschaftler. Er geht hier auf den Philosophen Darrel Moellendorf ein, der in der Hoffnung ein großes politisches Potential sieht. “Hoffnung ist ein Tonikum gegen Resignation und schwächende Angst”, so Moellendorf. Als beste Antwort auf die Probleme des Klimawandels setzt er auf eine hoffnungsvollen Politik, die “auf einer Vision von allgemeiner globaler Prosperität und Nachhaltigkeit” beruhe.

Dagegen stellt Grethlein Aktivisten wie Greta Thunberg oder Extinction Rebellion, die im Sterben der Hoffnung den Beginn für ein anderes Handeln sehen. Sogar in der deutlich zur Schau gestellten Hoffnungslosigkeit mancher Aktivisten könne man Spuren der Hoffnung entdecken, meint Grethlein. Gerade indem die bedrohte Zukunft verzweifeln ließe, treibe sie auch Hoffnung hervor.

Die Hoffnung lebt also trotz aller Herausforderungen. Die Hoffnungen der Menschen sind – wie auch in früheren Zeiten – vielfältig, haben unterschiedliche Gegenstände und reichen verschieden weit, diagnostiziert Grethlein. Kann die christliche Verheißung mit der Hoffnung auf das ewige Leben noch Grundlage für das Hoffen sein?, fragt er und sieht diese Verheißung für viele entzaubert. Aber das heiße keineswegs, dass diese Menschen nicht mehr hoffen.

“An die Stelle der großen sind vielmehr kleine Hoffnungen getreten”, meint der Wissenschaftler. “Diese Hoffnungen betreffen nicht mehr das Ganze und reichen auch nicht weit in die Zukunft, geben aber trotzdem dem Leben Halt im Hier und Jetzt.”