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Jesus am Kreuz: Mehr als ein Opfer

Der Tod Jesu wird zuweilen als blutiges Opfer betrachtet – aber stimmt das? Theologe Rolf Wischnath macht deutlich: Am Kreuz geschieht Versöhnung, nicht Vergeltung.

Der gekreuzigte Jesus: Was als blutiges Opfer in Erscheinung tritt, kann als Zeichen der Versöhnung verstanden werden.
Der gekreuzigte Jesus: Was als blutiges Opfer in Erscheinung tritt, kann als Zeichen der Versöhnung verstanden werden.Imago / Joko

Mit der Zusammenfassung „Er ist für alle gestorben: zu unser aller Versöhnung“ könnte die Bedeutung des Todes Jesu auf einen Nenner gebracht werden. Aber wer versteht das noch? Zuvor sei eine problematische theologische Auffassung genannt: Sie besteht in einer Opfertheorie. Nach ihr muss ein durch die Sünden der Menschen beleidigter und zürnender Gott wieder beruhigt werden. Er lässt sich aber nur durch ein vollkommenes, reines, fehlloses menschliches Opfer besänftigen. Das kann allerdings nur Gottes Sohn selber sein.

Jesus wird hier gedacht als unschuldiges Schlachtopfer, das sich dem Vater darbringt, um dadurch Vergeltung zu wirken und den Zorn des Vaters über die Sünder zu stillen: „… hat versöhnt des Vaters Zorn, hat versöhnt des Vaters Zorn“, heißt es im Refrain des Weihnachtsliedes „Den die Hirten lobeten sehre“ – dem so genannten Quempas, einer Zusammenstellung von drei lateinischen Weihnachtsliedern.

Diese Auffassung wird dann mit dem Tod Jesu verknüpft. Und sein Kreuzestod wird als Vergeltung und Blutopfer für Gott den Herrn dargestellt: Jesus stirbt an unserer Stelle und erspart uns so die Hölle.

„Steht Gott auf Blut?“ – Verhängnisvolles Gottesbild wird oft vermittelt

So wird oft ein verhängnisvolles Gottesbild transportiert. Viele Christinnen und Christen wurden und werden damit nicht fertig. Wie soll man auch ohne Schaden an einen Gott glauben können, der zu seiner Besänftigung das Blut seines Sohnes fließen lässt und ihn in den Foltertod stürzt?

„Steht Gott auf Blut? Ist Jesus so für uns gestorben?“ So fragen nicht nur Vertreterinnen feministischer Theologie, um diese Frage vehement zu verneinen. Und eine Antwort wird dann oft gegeben mit dem Verweis auf den Gott der Liebe und der Vergebung, wie er in besonderer Weise in den drei Gleichnissen vom verlorenen Schaf, Groschen und Sohn in Lukas 15 dargestellt wird. Hier wird dann Gott angesehen als der sein verirrtes Schaf suchende Schäfer, als Frau, die fieberhaft ihren Groschen sucht und dann auch findet, als liebender Vater, der dem verlorenen Sohn entgegenläuft und ihn erbarmend in die Arme schließt.

Diese drei Gleichnisse verkündigen die Gnade und das Erbarmen Gottes über die Verlorenen. Aber ist das Kreuz Jesu verstanden, wenn man lediglich auf die Gleichnisse von den Verlorenen schaut? Ist dann der Tod Jesu nur ein Beispiel vorbildlichen Sterbens eines gewaltlosen Märtyrers? Das Evangelium sagt mehr: Gott wird nicht durch ein Opfer versöhnt. Nein, nicht Gott wird versöhnt, sondern der Mensch, du und ich, das menschliche Geschlecht, die Welt (2. Korinther 5, 19). So ist Er für uns gestorben.

Jesus am Kreuz: Er starb für alle

Was geschieht da? Wie lässt es sich ausdrücken? Es ist so zu denken, dass Gott nicht zürnend und leidlos fernab der Schuld- und Leidensgeschichte des Menschen bleibt, sondern so, dass Er sich in deine und meine Lebensgeschichte hinein begibt und am Kreuz Jesu die letzte Konsequenz unseres Lebens, den Tod, auf sich selber nimmt. Der Tod als die endgültige Trennung von Gott ist dir und mir abgenommen. Noch mehr: Der Gekreuzigte starb für alle Menschen aller Zeiten und aller Orten. Er starb für die ganze gottfeindliche Menschenwelt.

„Der von seiner Schuld erdrückte Mensch kann allein dadurch zum Leben wiedergeboren werden, dass ein anderer sein vertanes und verlorenes Leben in den eigenen Tod mit hineinnimmt und ihm in seinem Sterben unverdientes, neues Leben schenkt“, formulierte die Theologieprofessorin Gisela Kittel.

Warum der gekreuzigte Jesus für Versöhnung steht

Aber wieso geschieht hier Versöhnung? Das Wort bedeutet die Erneuerung eines Verhältnisses von zu Feinden gewordenen Partnern, die Beendigung ihrer Feindschaft und die Eröffnung einer Existenz ihrer Beziehung im Frieden. Zur Durchsetzung dieses Versöhnungsfriedens ist der Gekreuzigte für uns gestorben. Es geht dabei im Kreuz um die Neuschöpfung einer neuen Existenz, einer neuen Wirklichkeit aller versöhnten Menschen. Diese Wirklichkeit wird am Ende aller Zeit im letztgültigen Erbarmen im Reich Gottes unwidersprechlich werden.

Aber wo ist diese neue Existenz schon jetzt und hier sichtbar? Sie ist bemerkbar in der Güte und Zuwendung eines Menschen zu seinem Mitmenschen. In ihr nimmt dieser die schon geschenkte und sich in der Ewigkeit ganz und gar realisierende Wirklichkeit vorweg. Diese Zukunft hat ihr Angeld in unserer hiesigen Lebenszeit. Dieses Angeld darf keinem Menschen abgesprochen werden, auch nicht den Ungütigen. Auch für sie – für alle gilt die Versöhnung als die kommende Wirklichkeit ihrer neuen Existenz.

Luther kann zugespitzt sagen: „Es ist keine Sünde mehr in der Welt ist, weil Christus, auf den der Vater die Sünden der ganzen Welt geworfen hat, sie in seinem Leib überwunden, zerstört und getötet hat.“