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Das Opfer – nicht nur an Karfreitag ein Thema

Der Begriff ist altmodisch und modern zugleich: Opfer. Jesus hat mit seinem Tod am Kreuz nach christlicher Überzeugung das größte Opfer dargebracht. Auch im heutigen irdischen Dasein ist das Opfer nicht unbekannt.

Welches Opfer ist man bereit zu geben? Christinnen und Christen erinnern an Karfreitag und Ostern an das nach ihrem Verständnis ultimative Opfer: den Kreuzestod Jesu, der sich für die Sünden der Menschen hingab. Dieser Foltertod ist überhaupt erst die Voraussetzung für die Auferstehung, ein Kernelement des christlichen Glaubens, die an Ostern gefeiert wird.

Jesu Tod hat aus Sicht von Gläubigen eine ungeheure Dimension. Dass jemand das eigene Leben einsetzt, um andere Menschen zu retten, ist gleichwohl auch außerhalb des religiösen Sektors bekannt, wenngleich die Dimension doch eine andere ist: wenn jemand zum Beispiel in Kriegen oder Terror, während Völkermorden, Naturkatastrophen und Kapitaldelikten Leben rettet und dabei sein eigenes verliert.

Zugleich wurden und werden in diesen Situationen Menschen zu Opfern, weil sie nicht gerettet werden konnten: in Kämpfen, der Schoah, unter Folter, bei sexualisierter Gewalt, Selbstmordattentaten, Anschlägen, in Erdbebentrümmern und Schlammlawinen. Seit Beginn des russischen Krieges in der Ukraine sind Opfer und sich Opfernde auch hierzulande wieder präsent. Und jüngst auch nach den Massakern der Hamas vom 7. Oktober, dem darauf folgenden Krieg im Gazastreifen sowie den eskalierenden Konflikten im Sudan und in Haiti.

2014 jährte sich der Beginn des Ersten Weltkrieges zum 100. Mal. Eine damals veröffentlichte internationale Umfrage im Auftrag von Deutschlandradio, ARD und ausländischen Sendeanstalten ergab, dass fast 90 Prozent bereit seien, “ihr Leben für das Wohl der eigenen Familie zu opfern”. Gut 44 Prozent würden für weltanschauliche Ideale sterben, 16,6 Prozent für das Vaterland und 7,8 Prozent für Gott oder ihre religiösen Überzeugungen, wie es hieß. Mehr als 20.000 Menschen hätten sich in mehreren Ländern an der Umfrage beteiligt.

In der Bibel sind es nicht ausschließlich Menschen, die sich für andere hingeben. Da ist auch der Sündenbock: Aaron, der Bruder des Mose, soll “seine beiden Hände auf den Kopf des lebenden Bockes legen und über ihm alle Sünden der Israeliten, alle ihre Frevel und ihre Fehler bekennen”. Gott will darüber hinaus, dass das Tier mitsamt der Sünden in die Wüste gejagt wird. Eine weitere einschlägige Stelle ist das Johannes-Evangelium mit diesen Jesu-Worten: “Das ist mein Gebot: Liebt einander, so wie ich euch geliebt habe. Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt.”

Doch muss es nicht stets um Leben und Tod gehen. Menschen geben für andere auch Arbeitskraft, Beratung, Wissen, Geld oder Zeit. In diesen Zusammenhängen ist nicht selten vom Spenden die Rede. Die Spender und Spenderinnen helfen auch Menschen, die Opfer geworden sind – und oft lieber als “Betroffene” bezeichnet werden wollen, um nicht auf die Opferrolle festgelegt zu werden, etwa im Zusammenhang mit Missbrauch.

Die Historikerin Svenja Goltermann, Autorin des Buches “Opfer. Die Wahrnehmung von Krieg und Gewalt in der Moderne”, sagte einmal der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA), dass es historisch betrachtet ein recht neues Phänomen sei, Menschen, die auf tragische Weise ums Leben gekommen seien, als Opfer zu betrachten: “Noch im 18. Jahrhundert hätten viele Menschen von Schicksal oder vom Willen Gottes gesprochen.”

Der Begriff habe sich seit Ende des 19. Jahrhunderts deutlich verändert: Zunehmend mehr Menschen seien als Opfer bezeichnet worden, “in dem Sinne, dass sie Opfer von etwas geworden waren, dass ihnen Leid zugefügt worden war”. Das hing der Historikerin zufolge unter anderem damit zusammen, dass sich Vorstellungen von legitimer und illegitimer Gewaltausübung verschoben.

Das Wort kann jedoch auch in abfälliger Weise verwendet werden. Etwa unter Jugendlichen als Schimpfwort. Es ist auch Bestandteil des Unworts des Jahres 2012: “Opfer-Abo”. Laut Jury stellt das von Moderator Jörg Kachelmann geprägte Wort “Frauen pauschal und in inakzeptabler Weise unter den Verdacht, sexuelle Gewalt zu erfinden und somit selbst Täterinnen zu sein”. Das Wort verstoße damit nicht zuletzt gegen die Menschenwürde von tatsächlichen Opfern.