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Jahr ohne Abi: Unis und Betriebe erwarten “Delle” bei Bewerbern

Keine 13. Klasse, keine Prüfungen, kein Abistreich: In diesem Jahr fällt das Abitur an den bayerischen Gymnasien weitgehend aus. Grund dafür ist die Rückkehr zum neunjährigen Gymnasium (G9), die der Landtag 2017 beschlossen hat. Hochschulen und Wirtschaftsverbände blicken unterschiedlich gestimmt auf den Herbst, wie sie auf Anfrage des Evangelischen Pressediensts (epd) mitteilten.

Die Schülerinnen und Schüler des letzten G8-Jahrgangs haben 2024 Abitur gemacht, die aus dem ersten G9-Jahrgang sind regulär 2026 mit der Schule fertig. Dazwischen klafft nun das aktuelle Jahr ohne Abiturienten, die ausbildungshungrig die Universitäten und Betriebe stürmen.

In den vergangenen Jahren haben jeweils rund 33.000 Schülerinnen und Schüler in Bayern die Allgemeine Hochschulreife erlangt. Heuer schreiben laut Kultusministerium voraussichtlich nur 5.000 Jugendliche ihre Abiprüfungen. Das betrifft Schüler, die 2024 sitzengeblieben oder zurückgetreten sind, und solche, die im G9 ein Schuljahr übersprungen haben. Ihre Prüfungen schreiben sie an den rund 100 Gymnasien des sogenannten Auffangnetzes.

Es werden in Bayern also rund 28.000 Neuanfänger in Wissenschaft und Wirtschaft fehlen. Dies entspricht auch den jüngsten Prognosen der Kultusministerkonferenz.

Das bayerische Wissenschaftsministerium erwartet infolgedessen jedoch „allenfalls eine kleine Delle“ an den Hochschulen. Die Studierendenzahlen im Freistaat seien aktuell auf Rekordniveau, so ein Sprecher. Der Anteil der Studienanfänger mit regulärem bayerischem Abitur liege ohnehin nur bei einem Drittel.

An der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg rechnet man dennoch zum Wintersemester „mit einem deutlichen Rückgang der Neueinschreibungen aus Bayern“, wie Sprecherin Regine Oyntzen dem epd sagte. Die Vorbereitungen auf die Umstellung liefen seit einigen Jahren, etwa indem Studierende aus dem Ausland und anderen Bundesländern angeworben werden. Der Anteil der ausländischen Erstsemester habe sich auf aktuell 27 Prozent erhöht.

Auch die Otto-Friedrich-Universität Bamberg, wo 60 Prozent der Studienanfänger aus Bayern kommen, erwartet einen „temporären Rückgang“ der Zahlen. Die Unis sind laut Vizepräsident Stefan Hörmann unmittelbar von Umstellungen im Schulsystem betroffen, was sich beim doppelten Abi-Jahrgang 2011 zeigte: Damals habe die gestiegene Zahl der Studierenden für Raum- und Personalprobleme gesorgt.

Die Münchner „Riesen“, Technische Universität München (TUM) und Ludwig-Maximilians-Universität (LMU), gehen nur von „minimalen Auswirkungen“ auf ihre hohen Studierendenzahlen aus, so LMU-Sprecherin Claudia Russo. An der LMU kommen – wie in Bamberg – rund 60 Prozent der Studienanfänger aus Bayern, an der sehr internationalen TUM laut Sprecher Stefan Kögler nur 40 Prozent.

Zudem verteilt sich laut Wissenschaftsministerium der Studienbeginn auf mehrere Jahre: Nur etwa die Hälfte der bayerischen Abiturienten schrieben sich bereits im Jahr des Schulabschlusses für ein Studium ein, so Kögler. Aktuell gehen alle vier Unis davon aus, dass heuer zahlreiche Bewerber mit Abi 2024 oder früher ihr Studium aufnehmen.

Sorgen macht sich der Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw), Bertram Brossardt. Dass ein Abiturjahrgang fehlt, „wird einen Effekt auf den Ausbildungsmarkt haben und den ohnehin schon bestehenden Azubi-Mangel zweifellos verschärfen“, sagte Brossardt dem epd. Dieser Mangel setze die bayerischen Unternehmen unter Druck.

Bis 2035 werden laut Brossardt im Freistaat etwa 400.000 Arbeits- und Fachkräfte fehlen. Zugleich kämpften die Unternehmen damit, dass sie für die offenen Ausbildungsstellen nicht genug und keine passenden Bewerber fänden.

Der Effekt durch den G9-Wechsel darf laut Brossardt zwar nicht überschätzt werden, denn die hohe Mehrzahl der Stellen werde mit Mittel-, Real- , Wirtschafts- oder Fachoberschülern besetzt: Nur etwa jeder achte Azubi in Bayerns Unternehmen hat ein Abitur.

Im vergangenen Jahr nahmen in Bayern aber immerhin knapp 13.000 Gymnasiasten oder FOS-Abgänger eine Lehre auf. Diese fehlten heuer – und diese „Delle“ bei den Ausbildungsverträgen kann laut Brossardt auch durch Absolventen „von allen anderen Schulformen nicht komplett ausgeglichen werden“. Eine Herausforderung werde zudem die Einschreibung in dualen Studiengängen sein.

Im Jahr 2026 fällt dann – ebenfalls wegen der G9-Umstellung – der Abiturjahrgang im bevölkerungsreichen Nordrhein-Westfalen und in Schleswig-Holstein aus. Die Kultusministerkonferenz prognostiziert für kommendes Jahr mit 348.000 Studierenden bundesweit rund 42.000 weniger als heuer. Die bayerischen Unis rechnen für sich mit wenig Effekten. (00/0312/28.01.2025)