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“Internet-Eifersucht” – Wenn Online-Verhalten die Liebe bedroht

Im Netz entstehen neue Formen von Kommunikation und Zuneigung. Manches Verhalten kann handfeste Schwierigkeiten und Konflikte nach sich ziehen. Eine Expertin wirbt für den Austausch über neue Regeln.

Ist es schon Betrug, dem Büroschwarm auf Instagram zu folgen? Oder das Bild einer Ex-Freundin zu liken? – Solche Fragen werden laut einer Psychologin drängender. “Internet-Eifersucht wirkt sich stark auf Beziehungen aus”, sagte Johanna Degen am Donnerstag bei einer Online-Pressekonferenz. Sie äußerte sich im Vorfeld des Deutschen Kongresses für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, der vom 12. bis 14. März unter dem Motto “Beziehungen in der Krise – Aufbrüche” stattfindet.

Es gelte, Vorstellungen von Moral neu auszuhandeln, erklärte die Forscherin. So sei es für viele vielleicht unvorstellbar, ein aktives Online-Dating-Profil zu pflegen, während man in einer Beziehung sei. Andere fänden dies dagegen sinnvoll, weil sie sich jeden Tag neu für den aktuellen Partner entscheiden wollten. Über solche Fragen nie zu sprechen, könne zu ernsthaften Schwierigkeiten führen.

Online-Gewohnheiten beeinflussten heute das gesamte Alltagsverhalten, fügte Degen hinzu. Dies könne funktional sein; so finde sich die Hälfte der neuen Liebesbeziehungen heutzutage im Internet. Doch viele negative Mechanismen beträfen nicht allein Plattformen wie Tinder, sondern prägten darüber hinaus die Erwartungen an das wechselseitige Kennenlernen und an zwischenmenschliche Begegnungen.

So komme es etwa in Familien vor, dass im Streit lange Chatnachrichten geschrieben würden, versehen mit Emojis und aus getrennten Zimmern. “Das macht es schwieriger, in einer Face-to-Face-Situation mit einem Konflikt umzugehen”, mahnte die Forscherin. Auch suchten Menschen auf Social Media vermehrt nach körperlicher Beruhigung: Sie hätten das Gefühl, sich bei Instagram, TikTok und Co. an sichere Orte zurückzuziehen, die jederzeit genau das böten, wonach sie suchten. Dies nähre eine generelle Erwartung von Verfügbarkeit.

Zugleich reagierten Menschen nicht selten wütend, wenn Influencer beispielsweise ihr Schwerpunktthema änderten. Andere litten regelrecht an gebrochenem Herzen, wenn ihr favorisierter Influencer sie etwa blocke. Aus medizinisch-therapeutischer Sicht seien diese Phänomene noch kaum im Blick, sagte die Psychologin.

Dies betreffe auch Menschen, die nach eigenen Worten in einen Chatbot verliebt seien. Solche Beziehungen sollten nicht dämonisiert werden, sagte Degen. Betroffene werteten diese oft selbst ab, sagten Dinge wie: “Ich weiß, es ist armselig, die Beziehung ist nicht echt – aber meine Gefühle sind es doch.” Derweil gäben manche Chatbots ihrerseits an, Beziehungen zu ermöglichen, die unter Menschen kaum noch möglich seien.

Die Medienbildung verharre bei der Forderung, darüber aufzuklären, dass vieles im Netz nicht echt sei, kritisierte die Expertin. Das wüssten viele Nutzerinnen und Nutzer durchaus, doch dieses Wissen werde von sogenannten parasozialen Beziehungen überlagert. Damit sei früher etwa das Anhimmeln von Film- oder Sportstars gemeint gewesen; heute sei es um so wichtiger, “wie wir Technik nutzen können, ohne von ihr konsumiert zu werden.”