70 Jahre alt wird der Ökumenische Rat der Kirchen (ÖRK) in diesem Jahr. Dem ÖRK, der im August 1948 in Amsterdam gegründet wurde, gehören 348 protestantische, anglikanische, orthodoxe und altkatholische Kirchen sowie Freikirchen mit rund 550 Millionen Christen an. Die römisch-katholische Kirche arbeitet seit Ende der 1960er Jahre in einigen Gremien wie der „Kommission für Glauben und Kirchenverfassung“ mit, ist aber nicht Mitglied. Dennoch stattete Papst Franziskus dem ÖRK jetzt an dessen Sitz in Genf einen Besuch ab (Seite 4). Über die Ziele des internationalen Kirchenbundes, die Zusammenarbeit mit der katholischen Kirche und über das Jubiläum sprach Benjamin Lassiwe kurz vor dem Papstbesuch mit dem ÖRK-Generalsekretär, dem norwegischen lutherischen Pfarrer Olav Fykse Tveit.
Der Weltkirchenrat wird in diesem Jahr 70 Jahre alt. Wo steht das Gremium heute?
Ich denke, wir haben einen Meilenstein erreicht, an dem uns unsere Geschichte inspirieren kann, aber an dem es auch immer größere Aufmerksamkeit für und immer größere Erwartungen an den Weltkirchenrat gibt. In diesem Sinn erleben wir einen ziemlich lebendigen Moment, aber auch einen Moment, in dem wir sowohl von innen als auch von außen hören: Das, was der ÖRK der Welt bieten kann, ist genau das, was die Welt heute braucht.
Was kann der ÖRK der Welt denn bieten?
Ich denke, wir können der Welt die Vision bieten, die die Menschen auf der Basis von Frieden und Gerechtigkeit vereint. Wir setzen die Würde, die Rechte und die Zukunft von uns allen, von der ganzen Menschheit, auf die Agenda unserer Kirchen. Dann haben wir Erfahrung damit, dass es tatsächlich möglich ist, Brücken über sehr tiefe Gräben zu bauen.
Zum Beispiel?
Gehen Sie einfach einmal 70 Jahre in der Geschichte zurück. Gucken Sie danach, wonach sich die Menschen damals sehnten: Das war die Gemeinschaft, der Austausch oder die gegenseitige Anerkennung zwischen den Kirchen, oder auch die Versöhnung nach dem Krieg. Aber zum Beispiel auch der theologische Dialog über die Frage, was uns als Christen vereint, oder wie wir mit den historischen Spaltungen zwischen Kirchen umgehen. All das wurde in den letzten 70 Jahren thematisiert. Wir haben heute noch keine perfekte, voll sichtbare Einheit zwischen den Kirchen, aber wir haben viele Formen, in denen wir unsere Einheit in Christus zum Audruck bringen können. Und wir haben auch eine starke gemeinsame Agenda mit Papst Franziskus und seiner Vision von Einheit.
Wo ist denn die Einheit heute schon sichtbar?
Ich war letztes Jahr in Wittenberg. Eine Veranstaltung da enthielt die Feier der so genannten Lima-Liturgie. Das war eine Feier, an der sich Vertreter vieler Kirchen beteiligten, die vor 70 Jahren definitiv noch nicht das Abendmahl gemeinsam feiern konnten: Lutheraner, Reformierte, Methodisten, Anglikaner, Altkatholiken. Und ein römisch-katholischer Bischof sprach ein Gebet und nahm so an der Liturgie teil. Manchmal vergisst man, was man in den bilateralen ökumenischen Dialogen alles erreicht hat, und wie sehr der multilaterale Prozess im ÖRK das stimuliert hat.
Die Lima-Liturgie ist ein Resultat intensiver theologischer Arbeit zwischen den Kirchen gewesen. Wo wird denn heute intensiv gearbeitet?
Im Moment sind wir mit unserer „Faith and Order“-Kommission mit einem Dokument zur Ekklesiologie beschäftigt. Dieses Dokument zeigt eine ganze Menge Übereinstimmungen, es zeigt aber, wo wir auch im ÖRK noch Unterschiede haben – etwa bei der Frage der Ordination oder der Rolle der Bischöfe. Die römisch-katholische Kirche arbeitet derzeit an einer Antwort auf dieses Dokument. Wir haben deswegen einen sehr interessanten Prozess zur Frage, was eine Kirche ist und was die Mission der Kirche ist, am Laufen.
Ein anderes, wichtiges Thema ist, dass es ein weltweit wachsendes gemeinsames Verständnis von Mission gibt. Wir haben die Aufgabe, das Evangelium mit allen Menschen zu teilen. Aber das kommt nicht aus den großen Kirchenzentralen: Die, die an den Rändern der Gesellschaften leben, haben dabei mindestens genauso viel beizutragen, wie wir, die wir aus den traditionellen Zentren des Christentums kommen.
Und ein drittes Thema ist, dass wir das Evangelium nicht predigen können und nicht nach Einheit suchen können, wenn wir nicht auch Wege finden, das in der Diakonie, der tätigen Nächstenliebe, zu zeigen, sei es in der Flüchtlingsarbeit oder dem Eintreten für Frieden. Das können wir heute schon gemeinsam machen.