Wie geht es den Insekten im urbanen Raum? Am Samstag diskutieren Experten auf der 118. Tagung der Thüringer Insektenforscher in Erfurt diese Frage. Ausgerichtet wird die Tagung vom Thüringer Entomologenverband und der Naturschutzbund Thüringen (Nabu). Die 270 ehrenamtlichen Mitglieder unter ihrem Vorsitzenden Ronald Bellstedt haben sich auf die Fahnen geschrieben, die Lebenssituation von allem in Thüringen zu verbessern, was sechs Beine hat, sagt er im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd).
epd: Herr Bellstedt, Ihr Verband widmet sich im Rahmen ihrer diesjährigen Herbsttagung den „Insekten im urbanen Raum“. Was interessiert sie an städtischen Insekten, etwa auch im Gegensatz zu jenen, die auf dem Dorf leben?
Bellstedt: Es geht uns nicht um den Gegensatz von Stadt und Dorf, sondern allgemein um die Betrachtung der Insektenwelt in dicht besiedelten Räumen. Wie sieht es hier mit der Artenvielfalt und den Populationsgrößen aus? Was sollte geschehen, um Insekten in unseren Siedlungen wieder mehr Lebensraum zu ermöglichen?
epd: Also was sollte geschehen?
Bellstedt: Parks, Gärten und selbst die Balkone in den Mehrfamilienhäusern sollten möglichst abwechslungsreich, mit blühfreudigen Blumen bepflanzt werden. Es muss auch nicht zehnmal im Jahr der Rasen gemäht werden. Siedlungen liegen ja häufig inmitten unserer ausgeräumten, landwirtschaftlich intensiv genutzten Landschaft, wo mit dem Unkrautvernichter Glyphosat alle Wildpflanzen abgetötet werden. Stirbt eine Wildkrautart aus, so verschwinden damit auch mindestens sechs daran speziell angepasste Insektenarten. In den Gärten können wir kleine Inseln schaffen, in denen unsere Insekten wieder einen für sie geeigneten Lebensraum vorfinden.
epd: Wie sieht es denn grundsätzlich aus mit der Artenvielfalt in Thüringen?
Bellstedt: In Thüringen haben wir ungefähr 25.000 verschiedene Insektenarten nachweisen können. Die Artenzahl ist in den vergangenen Jahr zehn Jahren nicht gesunken. Aber das liegt auch daran, dass immer weiter gesucht und bislang in Thüringen neue Arten gefunden werden. Was aber klar abnimmt, ist die Anzahl, die Populationsgrößen der Insekten. Auch die Verbreitungsgebiete werden kleiner. Das ist teilweise schon erschreckend.
epd: Für das Insektensterben haben Sie eben auch die Landwirtschaft mit ihren Monokulturen verantwortlich gemacht. Haben die urbanen Räume daran ebenfalls ihren Anteil?
Bellstedt: Ja, absolut. Unser Landhunger geht ja von den Siedlungen aus. Wir versiegeln immer mehr und immer neue Flächen. Fotovoltaikanlagen und Windräder, aber vor allem auch Wohngebiete und Straßen zerstören nach und nach immer mehr Lebensräume für Insekten. In Gotha sollen jetzt für ein einziges Industriegebiet 50 Hektar Ackerland überbaut werden. Das sind dann Flächen, auf denen Insekten eben nicht mehr leben können. Und darum ist es so wichtig, dass wir nicht noch unsere Grünflächen in den Siedlungen in Steingärten oder Golfrasen verwandeln. Ein Garten wird nicht dadurch belebt, dass nur noch der Rasenroboter seine Kreise zieht.
epd: Wenn ich ihrem Rat folgen möchte und Biotope anlege, kommt diese Hilfe etwa in einem einzelnen Balkon an? Oder müssen viele mitmachen?
Bellstedt: Je mehr mitmachen, desto besser ist es natürlich. Aber schon ein einzelner Blumenkasten auf einem Balkon hilft, wenn die richtigen Pflanzen ausgewählt werden. Die Insekten finden auch solch kleine Biotope, wenn sie denn geschaffen werden.
epd: Was sind denn richtige Pflanzen?
Bellstedt: Legen Sie im Garten eine Kräuterschnecke an. Pflanzen Sie einen Obstbau. Auch Kornblumen, Kratzdisteln, Natternkopf, Königskerze, Klatschmohn oder Glockenblumen helfen unseren Insekten. – Wichtig ist aber etwa auch, in den Parks und Kleingärten das Gras und selbst die Brennnesseln so lange wie möglich stehenzulassen. Ohne Brennnesseln können etwa das Tagpfauenauge oder der Kleine Fuchs nicht überleben. Wir freuen uns alle an diesen Faltern, rupfen aber genau die Pflanzen aus, von denen sich ihre Raupen ernähren. Ihre Bestände haben in Thüringen dramatisch abgenommen. In der Landwirtschaft wird Gift eingesetzt und an den Straßenrändern werden die Brennnesseln rigoros gemäht. Bieten wir den Schmetterlingen doch wenigstens im Garten die Chance auf ein Überleben.
epd: Wenn Sie öffentliche Grünflächen und Parks ansprechen, gibt es Kreise oder Kommunen, die Vorbildliches leisten?