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In “Last Dance” entdeckt ein trauernder Witwer das Tanzen

Ein trauernder Witwer tritt der Tanztruppe seiner verstorbenen Frau bei. Das Tanzen setzt beim ihm ungeahnte Kräfte frei, der Familie verheimlicht er es aber. Das führt zu komischen Nebenwirkungen – und manchem Klischee.

Immer häufiger werden für das Kino Filme produziert, die sich an der Alterspyramide westlicher Bevölkerungen orientieren; also Filme mit Seniorinnen und Senioren im Mittelpunkt. Oft geht es dabei um die Selbstbestimmung alternder Menschen und darum, wie Familie und Freunde mit ihnen umgehen. Werden sie ernst genommen oder bevormundet? “Last Dance” von Delphine Lehericey verhandelt diese Fragen besonders intensiv.

Germain (Francois Berleand) und Lise (Dominique Reymond) sind ein glückliches Ehepaar. Beide sind im Ruhestand; ihre Kinder besuchen sie mitsamt ihrem Anhang regelmäßig. An einem Sonntagnachmittag ist Lise allerdings nicht zugegen, sie hat Wichtigeres zu tun: Im Ensemble einer renommierten spanischen Choreographin widmet sie sich dem modernen Tanz. Ihr Mann und die Familie mokieren sich ein wenig über das neue Hobby der älteren Dame. Dann aber stirbt die körperlich und geistig fitte Lise urplötzlich. Der erschütterte Germain bleibt allein zurück.

Die Eheleute haben sich allerdings gegenseitig ein Versprechen gegeben: Der überlebende Partner soll das Projekt weiterführen, das der Verstorbene nicht mehr beenden konnte. Also wird Germain bei der Tanztruppe vorstellig und erklärt sein Anliegen. Wie Germain um seine geliebte Frau trauert, berührt die Choreographin und prompt schmeißt sie gegen einige Widerstände das gesamte Programm um und rückt den traurigen Witwer ins Zentrum. Der junge Tänzer Samir (Kacey Mottet Klein) kümmert sich um Germain, macht mit ihm Aufwärm- und Stretchingübungen und fährt ihn auch zu den Proben.

Derweil sorgen sich auch Germains Kinder um den alten Mann, denn er verschweigt ihnen seine neue Beschäftigung. Da ihm bald alles zu viel wird, vor allem die aufdringliche Fürsorge seines Nachwuchses, ignoriert er die Anrufe von Tochter und Sohn. So führt Germains Geheimniskrämerei zu Missverständnissen und bringt sein Leben gehörig durcheinander.

Durch das Tanzen taucht Germain in eine Welt der Körperlichkeit ein, die er zuvor nicht kannte. Es geht dabei um Vertrauen und das Sich-Fallen-Lassen. Germain muss Schamgrenzen überwinden und mit seinem Mangel an Beweglichkeit umgehen. Das Gleichnis des Tanzes als Befreiung ist allerdings nicht neu, und so vermeidet der Film auch nicht das eine oder andere Klischee, insbesondere der Lacher wegen.

So scheint die Fürsorge der Kinder und Enkel überzogen und etwas undurchsichtig. Sind sie wirklich besorgt oder wollen sie ihn ins Altersheim abschieben? Es erzeugt durchaus Komik, wenn die Kinder einen Wochenplan erstellen, in dem bis auf die Stunde genau geregelt ist, welches Familienmitglied sich wann um den Senior kümmert. Dass dieser eigentlich ganz gut allein zurechtkommt, demonstriert die Komödie ausführlich.

Da die dünne Intrige um Germains Doppelleben aber nicht auf Spielfilmlänge gestreckt werden kann, erfinden die Macher zusätzliche kleine Nebenplots. Germains enge Beziehung zu Samir wird von der Enkelin als homosexuelles Liebesverhältnis interpretiert. Seine häufige Abwesenheit erklärt Germain dann damit, dass er jeden Tag stundenlang an Lises Grab verweile.

Dass Filmgeheimnisse über kurz oder lang auffliegen, liegt in der Natur des Mediums. Doch die Spannung, die diese künstliche Konstellation in “Last Dance” auslöst, hält sich in Grenzen. Interessanter sind die komischen Details. So verschmäht Germain auch die mit viel Liebe gekochten täglichen Mahlzeiten der Nachbarin und verfüttert sie stattdessen an Katzen aus dem Garten. Die Tiere ziehen schließlich ins Haus ein und schlafen auf seinem Bett. In der Interpretation der Familie erscheint Germain nun als Tierfreund. Er selbst aber bevorzugt die Gesellschaft der Katzen, da sie ihn nicht belästigen und keine dummen Fragen stellen.

Ebenfalls gelungen ist ein Nebenstrang, in dem Germain seiner verstorbenen Frau Briefe schreibt und sie in Büchern der örtlichen Bibliothek versteckt. So kann er sich wenigstens einer Person anvertrauen und findet ein Ventil gegen die Wortlosigkeit im Umgang mit seiner Familie. Francois Berleand schafft es dabei, den Film auf seinen nicht mehr ganz so breiten Schultern zu tragen. Er stattet Germain mit einer Mischung aus Überdruss, Trauer und Humor aus und sorgt quasi im Alleingang dafür, dass man hinlänglich am Ball bleibt.