Hamburg. „Die Nadeln fühlen sich an wie Thymian“, sagt Hela Michalski und beugt sich vorsichtig vor, bis ihre Nase an die Zweige eines etwa zehn Meter hohen Mammutbaums reicht. „Riecht aber ganz anders.“ Sehen kann sie den imposanten Baum nicht, denn Hela Michalski ist blind. Sie nimmt an einer Gartenführung für Blinde und Sehbehinderte teil, die Therapie-Gärtner Roland Strauß in Hamburg anbietet.
Elf Teilnehmer, einige bei einer Begleitperson eingehakt, folgen dem gutgelaunten Gärtner eineinhalb Stunden lang durch das verzweigte Gelände von „Planten un Blomen“, der 200 Jahre alten Parkanlage im Zentrum der Stadt. Bereits fünfmal fand eine Gartenschau dort statt – entsprechend vielfältig und farbenfroh sind die Pflanzen.
Strauß ist gelernter Gärtner und studierter Landschaftsarchitekt. Obendrauf ließ er sich zum Therapie-Gärtner ausbilden. Er ist selbst sehbehindert und verbindet mit den Gartenführungen Leidenschaft, Beruf und soziales Engagement. Mit Demenzkranken „buddelt er im Garten“, wie er sagt, Gestresste nimmt er mit in den Wald zum „Waldbaden“.

Der Kontakt mit der Natur tut allen Menschen gut
Von Mai bis September bietet Strauß einmal im Monat ehrenamtlich Führungen für Blinde und Sehbehinderte auch im Botanischen Garten Klein Flottbek an. Momentan wirft Corona auch seine Pläne ein bisschen durcheinander. Er hofft, bald wieder regelmäßig verschiedene Parks mit seinen Angeboten ansteuern zu können. Bei diesen Führungen geht es vor allem ums Riechen. Strauß wählt Beete aus, die dicht am Weg stehen und für die Teilnehmer gut erreichbar sind.
„Ich freue mich, dass man endlich wieder rausgehen und was unternehmen kann“, sagt Daniela Hoppe. Die 41-Jährige hat vorher noch nie an einer Gartenführung teilgenommen. „Aber ich interessiere mich für viele Dinge, auch für Pflanzen“, sagt sie. Ihre Begleiterin lotst sie um einen Stamm herum und den Weg entlang. „Was riecht denn hier so herb?“, fragt Hoppe. Sie nimmt nicht nur den Duft der Pflanze wahr, die Strauß an dieser Stelle ausgewählt hat.
Es durftet nach gekochter Marmelade oder Leukoplast-Pflaster
Die Männer und Frauen schnuppern an den Pflanzen, ertasten die flauschigen Blätter des Wollziest, der auch „Eselsohr“ genannt wird und wuscheln mit den Händen durch den Lavendel. Strauß beschreibt währenddessen, was nicht alle sehen können und gibt Fakten zu den Gewächsen: „Die Taglilien hier sind gelb – die gelben riechen am besten.“
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer tauschen sich über ihre Eindrücke aus, Vergleiche werden gezogen: Die eine Pflanze rieche wie gekochte Marmelade, eine andere wie Leukoplast-Pflaster. „Lasst doch den Pflanzen ihren eigenen Duft und vergleicht sie nicht immer mit irgendwas“, sagt eine Teilnehmerin.

Ein anderer erzählt zwischendurch von seinem Besuch im Botanischen Blindengarten im sächsischen Radeberg bei der Begegnungsstätte „Storchennest“: ohne Stufen, mit schmalen Beeten und vielen duftenden Pflanzen. Rund 1.300 Pflanzenarten wachsen in der Anlage, die ein Arbeitsbereich des Taubblindendienstes der Evangelischen Kirche in Deutschland ist.
Gäste haben ein Lächeln im Gesicht
Marcel Soblik, Meister im Garten- und Landschaftsbau und Gartentherapeut, betreut den 20.000 Quadratmeter großen Garten voller Blumen, duftender Gehölzer und Pflanzen, die sich gut ertasten lassen. Dort wachsen allein rund 50 Duftpelargonienarten. „Die Düfte sind natürlich ein besonderes Erlebnis, man spürt die Freude der Gäste und sieht, wie ein Lächeln im Gesicht aufgeht“, erzählt er am Telefon. Regelmäßige Besucherinnen und Besucher könnten über die Jahreszeiten hinweg die Pflanzen von der Blüte bis zur Frucht beobachten. Und sie könnten mitreden, wenn von bestimmten Blumen die Rede sei.