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Ich bereue nichts

Wenn wir noch einmal in die Vergangenheit zurückgehen könnten – würden wir unser Leben genauso führen, wie wir es getan haben? Überlegungen zu einer spannenden Frage

Nein, ich bereue nichts, überhaupt nichts! Dieses Lied der französischen Sängerin Edith Piaf wurde ein Welthit. Und wenn man sie auf der Bühne sah, glaubte man ihr jedes Wort. Nur: Ich bereue nichts, überhaupt nichts – das singt sich so leicht. Ob das jeder Mensch sagen kann, der auf sein Leben zurückschaut?
Wer an die eigene Vergangenheit denkt, an die vielen Verzweigungen, die vielen Entscheidungen, die vielen Beziehungen im Laufe eines Lebens, wird sicher an der einen oder anderen Stelle eine Bedauern, ein Bereuen spüren. War es richtig, genau so zu wählen – diesen Beruf, diesen Menschen für eine Partnerschaft, diese Stadt zum Leben? War es richtig, auf manches zu verzichten, weil gerade anderes wichtiger schien – Kinder großzuziehen, im Beruf voranzukommen, Kranke zu pflegen, ein Haus zu bauen? War es richtig, ein Leben lang diese Partei zu wählen? Und zur Kirche zu gehen?
Im Nachhinein würden wir vielleicht an mancher Abzweigung eine andere Richtung einschlagen. Was im Moment der Entscheidung richtig schien oder einfach unabänderlich, sieht im Rückblick anders aus. Manches war tatsächlich richtig; anderes eher nicht.
Der Theologe und Philosoph Sören Kierkegaard hat einmal sinngemäß formuliert, dass wir das Leben erst rückwärts verstehen; leben aber müssen wir es vorwärts. Das ist das Problem: Im Moment der Entscheidung wissen wir nicht, was kommt. Wir können nur in die Zukunft hinein hoffen. Erst der Rückblick zeigt, ob wir richtig lagen. Wenn wir mit diesem Wissen der späteren Jahre noch einmal die Möglichkeit hätten, an den entscheidenden Stellen zu wählen – wie schön wäre das! Wie richtig würde dann das Leben, ohne Scheitern, ohne Schuld, ohne Reue! Oder?
Genau das ist die Frage. Denn egal welche Abzweigung wir gewählt hätten – jede davon hätte tausend neue Entscheidungen nach sich gezogen. Ohne diese Möglichkeit zur Wahl ist menschliches Leben nicht zu haben, und es ist dadurch auch immer vom Scheitern bedroht.
Aus der Sicht des Glaubens ist das keine Katastrophe. Beim Blick in die Bibel könnte man fast meinen: Ganz im Gegenteil. Hier gibt es kaum eine Frau, kaum einen Mann, deren Leben keine Brüche kennt. Adam und Eva, Jakob, Hannah, Petrus und Paulus hätten alle etwas zu bedauern oder zu bereuen. Und von Reue, Klage, Zweifeln und Verzweiflung ist in der Bibel viel die Rede. Was aber auch erzählt wird, ist: All diese Menschen hatten das Vertrauen, dass Gott an ihnen festhält. Das Leben kann weitergehen trotz aller Fehler, es kann sich sogar zum Guten wenden, weil Gott hält und leitet.
„Ich glaube, daß Gott aus allem, auch aus dem Bösesten, Gutes entstehen lassen kann und will“, hat Dietrich Bonhoeffer geschrieben. Wer mit diesem Vertrauen auf sein Leben blickt, wird Gottes Spuren entdecken, im Guten wie im Schlechten. Aus den vielen Entscheidungen ist das geworden, was ich mein Leben nenne, und es liegt in Gottes Hand. Vielleicht ist das eine Möglichkeit, mit Piaf zu sagen: Nein, ich bereue nichts.