Das Drama, das sich in der renommierten Klinik der Emory Universität im US-Bundesstaat Georgia abspielt, hätte düsterer kaum inszeniert werden können. Adriana Smith arbeitete hier einst als Krankenschwester. Jetzt liegt sie als Patientin in ihrer ehemaligen Arbeitsstätte – hirntot seit Februar, mit Maschinen am Leben erhalten. Sterben darf sie vorerst nicht, weil ihr Fötus in der 24. Schwangerschaftswoche noch wächst.
Als die schwarze Frau das Krankenhaus wegen starker Kopfschmerzen aufsuchte, schickten die Ärzte sie mit Medikamenten nach Hause. Nur einen Tag später kehrte sie zurück. Die Diagnose: ein Blutgerinnsel im Gehirn. Wenige Stunden danach erklärten die Ärzte sie für hirntot. Seitdem wird ihr Körper künstlich beatmet, ohne Mitspracherecht der Familie.
Hirntote Frau darf nicht sterben
“Es ist tödlich, schwarz und schwanger zu sein”, meint Monica Simpson, Aktivistin der Organisation “Sister Song”, die sich für “reproduktive Gerechtigkeit” einsetzt. Tatsächlich gehört Georgias Mütter- und Kindersterblichkeit zu den höchsten in den USA, wobei schwarze Frauen doppelt so häufig sterben wie weiße. Nur in diesem Fall darf die Betroffene nicht sterben, weil ihr Fötus in den Augen des Gesetzgebers eine vollwertige Person ist.
In Georgia gilt seit Aufhebung des liberalen Grundsatzurteils “Roe v. Wade” durch das Oberste Gericht im Jahr 2022 ein sogenanntes Herzschlaggesetz. Es verbietet Abtreibungen, sobald Herztöne messbar sind. Typischerweise ist das nach der sechsten Schwangerschaftswoche. Ab diesem Zeitpunkt hat der Fötus in Georgia alle Persönlichkeitsrechte – ein langgehegtes Ziel der Anti-Abtreibungsbewegung. Das Gesetz spielt nun auch im Fall der hirntoten Adriana eine Rolle und sorgt für Verunsicherung bei allen Beteiligten.
“Ärzte wollen kein rechtliches Risiko eingehen”, analysiert Juraprofessorin Mary Ziegler von der University of California die Situation in Georgia. Die Möglichkeit strafrechtlicher Konsequenzen bewirke einen Wandel in der medizinischen Versorgungspraxis. An der Emory-Uniklinik in Atlanta führt dies dazu, dass man Adriana nicht sterben lässt, um das ungeborene Kind zu retten.
“Roe v. Wade”: Jura-Professorin kritisiert Gesetzgeber
Die Gesetzgeber hätten nicht vorhergesehen, was es bedeute, wenn eine schwangere Frau tot sei, sagt Kimberly Mutcherson, Professorin an der Rutgers Law School in Camden, New Jersey. In der “New York Times” kritisierte sie eine “Unfähigkeit von Politikern ohne medizinische Expertise, jede Notfallsituation vollständig vorherzusehen”.
Entsprechend verworren ist jetzt die juristische Lage. Georgias “Life Act” verpflichtet Mediziner allerdings nicht explizit, hirntote Patienten künstlich am Leben zu erhalten. Der republikanische Generalstaatsanwalt des Bundesstaates, Chris Carr, ließ durchblicken, dass er das Gesetz im Fall Smith gar nicht für einschlägig halte.
Die demokratische Senatorin Nabilah Islam Parkes bat Carr in einem Brief um umfassende Klarstellung. Sie bezeichnete den aktuellen Fall als eine “groteske Verdrehung der medizinischen Ethik”. Dass die Interpretation des Gesetzes die hirntote Frau zu einem Brutkasten degradiere, sei “nicht nur medizinisch unhaltbar, sondern schlichtweg unmenschlich”.
Das sagt die Mutter der hirntoten Frau
Mit ähnlicher Leidenschaft bezog der republikanische Senator Ed Setzler die Gegenposition. “Es ist vollkommen angemessen, dass das Krankenhaus alles tut, um das Leben des Kindes zu retten.” Unterstützung bekommt der konservative Politiker von der Organisation “Students for Life of America”, die erklärt: “Adriana kann zwar nicht mehr für sich selbst sprechen, aber das Leben ihres Sohnes ist ihr wichtig.” Der Fötus sei ein “einzigartiger Patient”.
April Newkirk, die Mutter von Adriana, äußerte sich differenzierter. “Ich sage nicht, dass wir uns für einen Schwangerschaftsabbruch entschieden hätten, aber die Entscheidung hätte uns überlassen werden sollen, nicht dem Staat.” Im Interview eines Regionalsenders berichtete sie vom Entwicklungsstand ihres noch ungeborenen Enkels, der bereits Zehen und Arme habe. Zugleich deutete sie an, dass der Junge mit Behinderungen zur Welt kommen könnte, falls der geplante Kaiserschnitt vorgenommen werde. Mit gedämpfter Hoffnung erklärt sie: “Wir hoffen einfach, dass er es schafft.”
Medizinische Prognosen schlecht
Die medizinischen Prognosen sind alles andere als ermutigend. Steven Ralston, Leiter der Mutter-Kind-Abteilung der George Washington University, dämpft die Erwartungen. Die Chancen, dass das Kind gesund zur Welt komme, seien “sehr, sehr gering”. Die Ärzte des Emory-Krankenhauses planen dennoch, den Jungen Anfang August per Kaiserschnitt zu entbinden.